Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 1. (Dritte Folge, 1902)

Hauptmann von Hoen: Der Strassenkampf in Paris am 28. und 29. Juli 1830

Der Strassenkampf in Paris am 28. und 29. Juli 1830. 71 aufgeben. Freilich wurde die Bewegung, die dann in Paris nach Belieben schalten und walten konnte und zunächst ungestraft blieb, wesentlich gestärkt, so dass M arm ont der Vorwurf treffen konnte, durch sein passives Verhalten erst den Aufstand in seinem vollen Umfang heraufbeschworen zu haben. Es blieben bei Aufgeben der Offensive zwei Entschlüsse zu erwägen: Paris räumen, in St. Cloud die Versammlung eines ausreichenden Heeres erwarten und dann die Stadt er­stürmen, oder die wichtigsten Theile — Louvre und Tuilerien — besetzt zu halten, die Angriffe des Volkes abzuweisen und nach dem Eintreffen von Verstärkungen die Offensive zu ergreifen. Vortkeilhafter war der zweite Entschluss, der die königlichen Paläste sicherte und die Niederwerfung des Auf­standes leichter machte, doch bedurfte es hiezu ausreichender Lebensmittel und genügender Munition. Die Anwesenheit einer intacten Kraft in Paris hätte überdies die Kleinmüthigen ein­geschüchtert ; die Bürger, besorgt um ihr Eigenthum und durch das Zurückwerfen der Rebellen beim eventuellen An­griff auf die Stellung der Königlichen verzagt gemacht, hätten bald Verhandlungen eingeleitet und ihre Hilfe angetragen, die Volksmassen zu entwaffnen. Marna ont würdigte diese Entschlüsse wohl, aber erst später, als ihm die Ereignisse über den Kopf gewachsen waren und ihn in jene Lage gebracht hatten, die er von Vornherein befürchtete, deren Vermeidung er aber trotz aller Vernunftgründe bis zum letzten Augenblick erhoffte und welche er daher bei seinen Entschliessungen nicht in Rechnung zog, jene Lage, die ihn an die Spitze von Truppen setzte, deren Waffen sich gegen die eigenen Stammesbrüder kehren mussten. Er rühmt sich zwar, seine Pflicht als Soldat voll erfüllt zu haben, thatsächlich konnte er aber den Mitbürger nicht abstreifen. Dieses rein menschliche und hochachtbare Gefühl hemmte seine Thatkraft und trug zu dem so vollkommenen Miss­erfolg neben den Fehlern Polignac’s nicht unwesentlich bei. Allerdings hat seine Rechtfertigung etwas für sich, dass ihn der König als Commandanten eingesetzt hatte, um die Ordnung herzustellen, also offensiv zu sein, indessen steht es doch jedem Untergebenen frei, einen Befehl nicht zu

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