Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs - Supplement. Geschichte K. und K. Wehrmacht 1. (1898)
Die Fuss-Truppen - I. Infanterie - Die Chargen und ihre Obliegenheiten
— 62 — Bei jenen Regimentern, wo durch irgend einen Allerhöchsten Befehl angeordnet wurde, dass dasselbe, um die hohen Yerdienste des Inhabers zu ehren, dessen Namen auf immerwährende Zeiten zu führen habe1), wurde ein eigener „Obrist-Inhaber” ernannt, welcher alle einem solchen zukommenden Befugnisse hatte. Allen Inhabern (auch zweiten) war seit 1777 gestattet, einen Ober-Officier des Regiments als Adjutanten zu halten; diese hiessen „Inhabers-Adjutanten” und hatten den Verkehr zwischen dem Inhaber und dem Regimente zu vermitteln. Mit Allerhöchster Entschliessung vom 3. Juli 1868 verloren die Inhaber alle ihnen bisher noch zustehenden Privilegien und bildet die Inhabers- Würde ausnahmslos nur eine Ehrenstelle, mit welcher keinerlei dienstliche Functionen verbunden sind. Das Regiment führt den Namen des hiezu ernannten Oberst-Inhabers, derselbe ist berechtigt die Uniform eines Obersten des Regiments zu tragen und werden ihm vom Regimente die vorgeschriebenen Eingaben (Rangs- und Officiers-Eintheilungs-Liste) vorgelegt. Im Zusammenhänge mit dieser Verfügung werden auch seit 1868 keine neuen zweiten Inhaber, beziehungsweise bei Regimentern, welche den Namen verdienter Personen auf immerwährende Zeiten führen, keine Inhaber mehr ernannt. Ebenso hat die Charge der Inhabers-Adjutanten aufgehört. Zu den wichtigsten Privilegien und Rechten des Inhabers, den sogenannten „Regiments-Privilegien”* 2), gehörten folgende: 1. Der Obrist war der unumschränkte „Gerichtsherr” des Regiments, es stand ihm das Straf-undBegnadigungsrecht: „das Jus gladii et aggratiandi” über alle Mitglieder des Regiments (den zeitlichen Obristen ausgenommen) für begangene Verbrechen und Vergehen zu. Er ordnete Verhöre und Kriegsrechte an, ratificierte die Urtheile und liess selbe publicieren und executieren, „wenn es selbst Todesstrafe oder Cassation eines Officiers betraf”3). Nachdem das gebräuchlichste damals vorhandene Disciplinar-Strafmittel gegen die Mannschaft in der Anwendung der Strafe mit dem Stocke bestand, so war es selbstverständlich, dass jedes Mitglied des Regiments, welches nicht dem Officiers-Stande angehörte, unter dem Stocke seiner Vorgesetzten stand, oder umgekehrt, der Obrist das Züchtigungsrecht mit demselben gegenüber allen Untergebenen ausüben konnte. Ausgenommen hievon waren nur der Caplan, der Secretär und später der Regiments-Feldscher. Ebenso war es Gebrauch oder Regel, die Chargen, sowie den Wachtmeister-Lieutenant, den Profossen, Regiments-Tambour, im Schreibgeschäfte verwendete Fouriere (Führer), ja selbst ältere Soldaten gar nicht, oder wenigstens, um ihr Ansehen nicht zu schädigen, nicht vor den übrigen Kriegsleuten zu züchtigen. nur deren Namen führten, die Inhabers-Rechte aber durch den Hofkriegsrath ausgeübt, respective durch denselben an die Commandanten übertragen wurden. Dessgleichen bei den Regimentern der Feldmarscliälle Prinzen Alexander von Württemberg und Albrecht von Braunschweig-Bevern, als diese 1738—1734 als Herzoge zur Regierung ihrer Länder gelangten. *) Das erste Regiment, bezüglich dessen dies verfügt wurde, war das Dragoner- Regiment des Prinzen Eugen von Savoyen, welches seit dessen Tode (1736) den Namen desselben trägt (Patent Nr. 6735 vom 12. Januar 1737); in der Infanterie ist es das Regiment Nr. 2, welches seit dem Tode des Kaisers Alexander I. von Russland (1825) dessen Namen beibehielt. Es besteht indessen auch ein Patent Kaiser Leopold I. vom 10. August 1656, welches nach dem Tode des Feldmarschalls Octavio Piccolomini verfügt, dass dessen Cürassier-Regiment. dessen letzte Spuren sich im heutigen Dragoner-Regiment Nr. 6 verfolgen lassen, für immer ,,Piccolominisch” genannt werden solle. Aber schon unter dem nächsten Inhaber Cap rar a erscheint diese Bezeichnung nicht mehr und scheint niemals zur Geltung gekommen zu sein. (K. A.. Bestallungen 1656, 1550.) 2) Sie wurden auch Regiments-Privilegien genannt, weil durch dieselben alle Angehörigen eines Regiments, gegenüber ausserhalb eines Regiments-Verbandes Stehenden, gewisse Vorrechte genossen; so z. B. in Betreff des unter Nr. 1 aufgeführten, dass jeder Soldat, wenn er auch momentan vom Regimente abwesend, wegen eines begangenen Verbrechens an sein zuständiges Regiments-Gericht abgeliefert, also nicht durch ein anderes abgeurtheilt werden durfte. Dieses Privilegium wurde auch das „privilégium fori” genannt. 3) Ausnahmen fanden nur in Fällen von Zweikampf statt, wo das Urtheil vor der Vollstreckung dem Kaiser oder dem Hofkriegsrath zur Revision vorgelegt werden musste, ebenso, wenn eine Partei sich über die Sentenz, wenn selbe nicht auf Leib- und Lebensstrafe lautete, beschwerte.