Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 9. (Neue Folge, 1895)
Oberlieutenant Andreas Kienast: König Friedrich II. von Preussen und die Ungarn bis zum Hubertsburger Frieden 1762
l) Polit. Corresp., I., Nr. 118 vom 23. October 1740. ungarischen Beziehungen der ersten zwei Decennien der Regierung Friedrichs II. zwar sehr lästig fiir den “Wiener Hof, aber doch nicht bedeutend genug waren, um in der gross angelegten Darstellung mehr als gelegentlich gestreift zu werden. Aehnlich verhält es sich auch mit anderen Werken über österreichische und ungarische Geschichte. Günstiger ist die Ausbeute aus der preussischen Geschichtsliteratur. Hier ist es vor Allem die gegenwärtig bis in das Jahr 1761 gediehene „Politische Correspondenz Friedrich’s des Grossen,“ welche eine reiche Fundgrube darstellt und für die vorliegende Studie zur Hauptquelle geworden ist. Die Absicht der Veröffentlichung erscheint als von grossen Gesichtspuncten getragen. Das Wort des Königs: „Die Geschichte soll nur aufnehmen, was aufbehalten zu werden verdient“ wird ausdrücklich als Grundgedanke dieser umfassenden Publication hingestellt. Gerade aber darüber können die Ansichten am ehesten auseinander gehen und es entsteht die Frage, ob nicht eben dieses Wort manchmal eine gewisse Beschränkung des Materials nahe gelegt hat, die dann doch dem ganzen Werke Abbruch thut. Denn solche Beschränkungen müssten nicht nothwendig die preussische Politik in ihren Hauptzügen unerkennbar machen, wohl aber könnte der Charakter derselben nach Aussen durch Auslassung von Dingen, welche angeblich nicht „aufbehalten zu werden verdienen", immerhin in eine — etwas günstigere Beleuchtung gerückt werden. Der Vorwurf der Lückenhaftigkeit ist der Publication denn auch in der That schon von A. Dove gemacht worden. Es charakterisiert das Vorgehen der Redaction gewiss, wenn beispielsweise nur ganz nebensächlich anmerkungsweise von einem „Cabinets-Schreiben mit der Weisung, protestantische Familien in Wien zur Ansiedlung in Preussen aufzufordern,“ die Rede ist,1) dieses Cabinets- Schreiben selbst aber unterdrückt wird. In dieser Angelegenheit hatte König Friedrich II. schon am 4. October 1740 an seinen Wiener Gesandten Borcke geschrieben: „Vous devez travailler ä persuader quelques riches families [protestantesj, sóit rentiers, sóit marchands oú artisans, de s'établir á Berlin pour profiter des douceurs accordées aux nouveaux venus“ und am 28. December 1740 an denselben: „Ihr sollt also bei den itzigen Umständen mit Ernst darauf arbeiten, meinen obigen Zweck durch Anherziehung guter Rentiers, Manufacturiers und dergleichen, so Mittel haben, zu erfüllen. Die Vortheile der zweijährigen Accisefreiheit und Befreiung von anderen oneribus, so ich denen Ankommenden versprochen, wisset Ihr aus denen öffentlichen Patenten . . . .“ Man kann trotz der Beziehung dieser beiden Erlässe zur inneren Politik Preussens (Colonisation) nicht ohne weiteres in Abrede stellen, dass sie ein Stück äusserer Politik gegenüber Oesterreich repräsentieren, welche, wie die folgende Darstellung zeigen wird, durch Jahrzehnte hindurch consequent weiterverfolgt wurde und sich — abgesehen von Ungarn — insbesondere auch auf Böhmen, Ober- und Inner-Oesterreich erstreckte. Es ist kaum anzunehmen, dass es dabei nicht gelegentlich wenigstens ein oder das anderemal zur Ausfertigung einer schriftlichen Ordre obiger Art durch den König oder jemand seiner nächsten Umgebung gekommen sei; die beiden citierten Erlässe an Borcke dürften also keineswegs vereinzelt dastehen, da sie nur Glieder einer langen Kette von Actionen