Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 9. (Neue Folge, 1895)
Oberstlieutenant Hausenblas: Oesterreich im Kriege gegen die französische Revolution 1792 (Fortsetzung) - Hauptmann Christen: Die Ereignisse bis zum Schlusse des Feldzuges - Herzog Alberts Unternehmung auf Lille
Oesterreich im Kriege gegen die französische Revolution 1792. 107 alles wagende Energie besass, oder sie docli nicht rechtzeitig anwendete, um das damals unbestrittene, starke moralische Uebcr- gewicht der Oesterreicher zu einem vollen Schlage in die Wage zu werfen. Schliesslich musste der Herzog zu einer That sich entscheiden. Die Nachrichten über die Armee der Alliierten vom Schauplatze in der Champagne lauteten günstig. Die französische Nord-Armee bewies durch ihre Flucht in die Festungen, welch’ letztere nach übereinstimmenden Meldungen eifrig und hastig zur Vertheidigung rüsteten, dass sie zu jener Zeit an einen Einfall in Flandern nicht dachte, sondern lediglich zur Vertheidigung ihre Zuflucht nähmen. Das Drängen des Königs von Preussen, die Wünsche des Kaisers Franz II., Herzog Albert möge durch eine mit aller Kraft zu unternehmende Diversion auf französischen Boden die Aufmerksamkeit der Franzosen, womöglich auch einen Theil ihrer in der Champagne stehenden Truppen auf sich ziehen, wurden lebhafter. So entschloss sich Herzog Albert, an die Ausführung einer Unternehmung zu Gunsten dei alliierten Armee zu schreiten. Nach den in den „Vorläufigen Betrachtungen“ dargelegten Umständen konnte eine solche Unternehmung nur darin gipfeln, eine jener französischen Festungen zu nehmen, in welche die französische Nord-Armee sich zurückgezogen hatte. Durch den Angriff eines dieser Plätze konnte Herzog Albert möglicherweise bewirken, dass französische Truppen vom Kriegs- Schauplatze aus der Champagne abgezogen und zum Entsätze oder zur Wiedernahme dieser fraglichen Festung verwendet, dadurch die französischen Kräfte in der Champagne aber geschwächt würden. Jeder solchen Unternehmung standen zweifellos ausserordentliche Schwierigkeiten entgegen: in Anbetracht der Schwäche des unter Herzog Albert’s Commando stehenden österreichischen Armee-Corps, des Mangels jeglichen Armee-Belagerungsparkes, des gänzlichen Mangels eines geregelten Nachschubes von Mann, Pferd und Material, des Mangels an Stützpuncten und anbetrachts der höchst zweifelhaften politischen Verlässlichkeit der österreichischen Niederländer.