Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)
Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)
82 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. Zeit nach Erlass aller jener streitigen und bestrittenen neuen Einrichtungen dafür angesehen wissen. Das unglückliche Missverständniss klärte sich, als am 23. August der Gouverneur ad interim, General Murray, den Ständen schriftlich die Vorausbedingungen „les préalables indispensibles“ mittheilte: der allgemeine Stand vom 1. April, die erneuerte Einrichtung der Universität Löwen nach den von Wien gegebenen Directiven, die Wiedererrichtung des General-Seminars daselbst, die Aufrechthaltung der Kloster-Aufhebungen, die Cassirung aller seit dem 1. April von den Klöstern auf Grund der Verfassung geschehenen Abtwahlen, Zahlung der Steuerrückstände, Auflösung aller Bürgerwehren und Freiwilligen, Aufhebung von Vereinen u. s. f. Je mehr die durch die Deputation von Wien mitgebrachten Nachrichten die Hoffnung auf eine Verständigung gewährt hatten, desto ungestümer schwoll jetzt die Erbitterung und der aufrührerische Sinn. Schon machen sich auch Einflüsse geltend, welche nicht mehr den Vertheidigern der belgischen Verfassung, sondern der Revolution angehörten, wie sie sich in Frankreich vorbereitete. General Murray schritt sofort an die Durchführung der kaiserlichen Verfügungen; einen Theil der Truppen hatte er in der Umgebung von Brüssel zusammengezogen. Die Aufhebung der Freiwilligen und aller politischen Abzeichen gab Veranlassung zum Widerstande. Aber Murray schwankte in seinen Entschlüssen und unbestimmt waren seine militärischen Befehle. So kam es durch Missverständnisse am 20. September zum Einschreiten der bewaffneten Macht, während der General sich bereits in Unterhandlungen mit den Aufständischen eingelassen hatte. Gegen die Bedingung des Zurückziehens der Truppen legten die bewaffneten Bürger die Waffen nieder und Murray erliess sodann (21. September) eine Proclamation, in der er in Verkennung der Intentionen des Kaisers wieder Zusagen machte, die weit über die ihm ertheilten Befugnisse hinausgingen *). Der Kaiser war in hohem Grade unzufrieden mit diesem eigenmächtigen Schritte Murray’s und dieser erhob schon am 17. October wieder Forderungen, die mit seiner Proclamation vom 21. September im Widerspruch standen. Der momentane gute Eindruck dieser Zugeständnisse war somit wieder verwischt. General Murray hatte sich politisch unfähig erwiesen, seine Vollmachten überschritten und durch seine militärischen Massnahmen die Ehre der Waffen nur schlecht gewahrt. Der Kaiser entzog ihm sein Vertrauen und berief ihn ab. An seiner Stelle übernahm Minister Graf Trauttmansdorff die Leitung der politischen Geschäfte, während dem *) Josef an Murray de dato 29. September 1787.