Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)

Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)

80 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. In dem Briefe an den Erzherzog Leopold bezeichnet Kaiser Josef als Ziel der revolutionären Bewegung nicht die Wiederher­stellung des früheren Zustandes, sondern einfach die Losreissung und die Unabhängigkeit der belgischen Provinzen mit geheimer Unter­stützung fremder Mächte. Niedergebeugt vom Schmerze über die unglückseligen Ereignisse, fasste der Kaiser den Entschluss, der Sache unter allen Umständen ein baldiges Ende zu machen; und in dieser Absicht wollte er sich selbst an Ort und Stelle begeben. Um einen letzten und deutlichen Beweis von Güte und Nach­sicht zu geben und darzuthun, dass es nicht die Absicht gewesen, die Landesverfassung Belgiens umzustossen, sondern nur das allge­meine Wohl des Landes zu fördern, sowie dass nur Missverstehen und falsches Auslegen seiner guten Absichten und das Aufhetzen schlechter Menschen an den Vorfallenheiten die Schuld trage, setzte der Kaiser in der Antwort an die Brabanter Stände, de dato 3. Juli, die ange­feindeten Neuerungen nunmehr vorläufig wirklich ausser Kraft. Von dem bevorstehenden Eintreffen der nach Wien berufenen Depu­taten der Stände hoffte Kaiser Josef eine glückliche Lösung aller Differenzen. Gleichzeitig erhielten Statthalter und Minister den Befehl, ebenfalls nach Wien zu kommen. Belgiojoso kehrte auf seinen Posten nicht mehr zurück, weil er nach des Kaisers Ansicht im rechten Augenblick nicht die nötliige Energie hatte und den Kopf verlor. Die Regierung in den Niederlanden wurde nun dem General Graf Murray, als General-Gouverneur ad interim, mit fast unum­schränkter Vollmacht übertragen. Das seitherige gute Verhalten der niederländischen Truppen, welche sich fast ausschliesslich aus dem Lande ergänzten, hatte dem genannten Commandanten das Vertrauen des Kaisers in hohem Grade erworben. Die nicht energischere Ver­wendung der militärischen Macht ward als Folge der Nachgiebigkeit der Statthalter betrachtet. Wenn auch der Kaiser an den Ausbruch eines förmlichen Bürger­krieges nicht glauben wollte, sondern immer noch hoffte, ohne die äusserste Anwendung von Gewalt der Situation Herr zu werden, so gebot es doch die einfache Vorsicht, auch den äussersten Fall in’s Auge zu fassen. Das Land war aber thatsächlich schon in Aufruhr, das Ansehen der Regierung tief gesunken; aussergewöhnliche Massregeln mussten ergriffen werden, und diese konnten selbstverständlich nur einen militärischen Charakter haben. In der Absicht, für alle möglichen Fälle vorbereitet zu sein, befahl der Kaiser die Concentrirung der über das ganze Land zerstreuten Truppen möglichst in die Nähe des Herdes der Unruhen, nach Brüssel und Umgebung. Gleichzeitig ergingen die Weisungen wegen Sicherung der in Magazinen ausserhalb den Städten befindlichen Kriegsvorräthe und betreffs Verpflegsvorsorgen. Den Ständen sollte einige Tage vor Beginn der Truppenbewegungen davon

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