Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)
Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)
78 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. Kaiser Josef war im April 1787 nach Russland abgereist. Der Staatskanzler Fürst Kaunitz hatte als Chef des niederländischen Departement die aus Belgien einlaufenden Berichte dem Kaiser nachgesendet, dem Gouverneur in Brüssel aber seine Meinung dahin ausgesprochen, dass der Kaiser die Ratification der den Ständen gemachten Zugeständnisse genehmigen und die Vollmachten zu einem angemessenen Vergleiche mit den Ständen ertheilen werde, wenn bei seiner Rückkehr die Lage der Dinge in den Niederlanden es noch gestatte. Dem Kaiser kamen die ersten Berichte über die Ereignisse in Belgien in Cherson zu. Ferne von seinem Reiche und den aufständischen Provinzen, war er nicht im Stande, auf die Entwickelung der Dinge einen Einfluss zu nehmen. Der Kaiser erhielt verspätet Kenntniss von den Thatsachen und konnte seine Anschauung und seinenWillen weder zu Wien, noch in Brüssel rechtzeitig bekannt geben. Seine Abwesenheit war um so misslicher, als alle seine Räthe anderen Sinnes waren. In dem nächsten Handschreiben spricht der Kaiser sein Erstaunen über die unerwarteten Schwierigkeiten aus, welche der Durchführung seiner Ordonnanzen entgegengestellt wurden '). Eine Rückwirkung der Ereignisse in den Niederlanden auf die anderen Tlieile seines Reiches, in welchen gleichfalls Reformen angebahnt wurden, befürchtend, hielt es der Kaiser für dringend geboten, unter allen Umständen Standhaftigkeit und Festigkeit zu bewahren. Er beschloss, die Truppen in Belgien um 14 Bataillone und 1 Caval- lerie-Regiment zu verstärken, und sprach seine Absicht aus, sich nach der Rückkehr aus Russland selbst in die Niederlande zu begeben2). Der Kaiser missbilligte die Schwäche und Nachgiebigkeit des Gouverneurs, die eigenmächtige Suspendirung der in seinem Namen ergangenen Verfügungen und schrieb den falschen Schritten der Regierung es allein zu, wenn das Volk das Vertrauen zu ihr verliere. Er verbot gleichzeitig jedes weitere Nachgeben und befahl dem Minister Belgiojoso, dass alle Provinzen ihre Deputirten nach Wien entsenden sollten, um dort die Wirksamkeit der Gerichte und Intendanzen, wie sie zum allgemeinen Wohle in den deutschen Provinzen eingeführt waren, durch den Augenschein kennen zu lernen3). Josef schrieb übrigens die Bewegung in Belgien weniger den Missbräuchen in der Verwaltung und seinen reformatorischen Massnahmen, als vielmehr den Anstiftungen des Auslandes und den an einer Umwälzung der Verhältnisse interessirten Personen zu. Er hielt jede *) *) Schreiben an Belgiojoso, de dato Karasubazar, 6. Jnni 1787. K. k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv. *) Schreiben an Kaunitz, de dato Lemberg, 24. Juni. K. k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv. 3) Schreiben an Belgiojoso, 6. Juni. K. k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv.