Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)
Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)
IX. Der Revolutionskrieg in Belgien (1787—1790). 77 Ziele hatte; die Tortur wurde gänzlich abgeschafft. Eine grosse Zahl von Beamten wurde durch diese Neuerung brodlos und vermehrte die Zahl der Unzufriedenen. Die Geister waren auf solche Reformen nicht vorbereitet. In einem Lande, wo die gesellschaftliche Ordnung auf Privilegien beruhte, mussten die so schroff hervortretenden Tendenzen absoluter Herrschaft in Bezug auf Religion, Verwaltung und Gerichtspflege zum Widerstande fuhren, umsomehr als man in den Austausch-Entwürfen des Kaisers, eine Geringschätzung des Verhältnisses zu den belgischen Provinzen zu sehen glaubte. Auf Seite der Regierung unterliess man es, über den wahren Zweck der Neueinführungen, ihre Nützlichkeit und Nothwendigkeit das Volk aufzuklären und bestand allen Vorstellungen gegenüber einfach auf der stricten Durchführung. Steuerverweigerung und Auflehnung waren die Folge. Der General-Gouverneur war gegen eine gewaltsame Durchführung der Neuerungen. Er stellte dem Kaiser die Einmüthigkeit der ganzen Nation in der Abneigung gegen die neuen Verfügungen dar, schlug ein System der Milde vor und erbat die Abberufung des Ministers Belgiojoso. An dem Sitze der Regierung kam es zu Zerwürfnissen; Uneinigkeit, Verschiedenheit der Meinungen, wie der Interessen und Privatleidenschaften, beherrschten die Männer, welchen die Vollstreckung der kaiserlichen Befehle oblag. Die Gährung im Lande stieg von Tag zu Tag; die Regierung versäumte es, die Masse des Volkes, so lange dies noch möglich war, auf ihre Seite zu bringen, und liess ihren Gegnern Zeit, die Menge durch beunruhigende, entstellende Gerüchte aufzureizen. Es kam zu Volksaufläufen und zur Bildung von bewaffneten Freicorps. Der Pöhel zu Brüssel liess sich zu Excessen auf der Strasse liinreissen. Die eigenmächtige Nachgiebigkeit des Gouvernements in einzelnen Punkten war nicht mehr im Stande, der Unzufriedenheit Schranken zu setzen; auch die unter Vorbehalt der Genehmigung des Kaisers erfolgte Suspendirung aller den Constitutionen und Privilegien zuwiderlaufenden Verfügungen, sowie die Einstellung der Studien am General-Seminar, Zugeständnisse, welche die Erneute in Brüssel am 30. Mai vom Gouvernement erzwang, vermochte die aufgeregten Ge- müther nur theilweise zu beruhigen. Der leicht errungene Triumph machte die Stände nur fester in der Opposition und erfüllte sie mit Zuversicht und Trotz; die Geistlichkeit schürte thätiger an der Aufreizung des Volkes. Es kam zum Entwürfe einer Confederation der Provinzen, um jedem Eingriffe in die Privilegien gemeinsam zu begegnen, denn man befürchtete, dass der Kaiser die dem Gouvernement in einem Augenblicke der Krise abgedrängten Zugeständnisse nicht genehmigen werde. Man ging daran, fremde interessirte Mächte als Vermittler anzurufen.