Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)

Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)

76 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. Gouverneur oder Statthalter. Demselben war als Stellvertreter ein bevollmächtigter Minister und zur Erleichterung der Verwaltung der Staats-, Finanz- und der geheime Rath beigegehen. Der General-Com- mandant der militärischen Macht stand unter den Befehlen des Gou­verneurs. Die Gewalt der Volks-Repräsentation der Stände war nicht minder gross, als jene des Statthalters. Beim Ausbruche der Unruhen in den Niederlanden theilte die Schwester des Kaisers, Erzherzogin Marie Christine, mit ihrem Gemahl, dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen, das Amt des General-Gou­verneurs; bevollmächtigter Minister war Graf Belgiojoso, General- Commandant FZM. Graf Murray. Kaiser Josef hatte bei seiner Bereisung Belgiens im Jahre 1781 ') von der dortigen Staatsverwaltung, insbesondere von der Gerechtigkeits­pflege keinen guten Eindruck empfangen. Im Interesse der Toleranz und des öffentlichen Unterrichtes er- liess der Kaiser bald eine Anzahl von Edicten, welche in erster Linie sich gegen den Clerus richteten. Darin lag eine grosse Gefahr, deren Geringschätzung die schlimmsten Folgen nach sich zog, denn die Geistlichkeit stand bei dem Volke in hohem Ansehen und besass einen grossen Einfluss auf dasselbe. Die Aufhebung der Klöster (März 1783), deren Güter eingezogen und deren Erträgnisse in eine Casse zur Hebung des Unterrichtswesens fliessen sollten, leitete des Kaisers Reformen ein. Die Edicte betreffs Abschaffung aller Brüderschaften und die Errichtung von Staats- Seminarien zu Löwen und Luxemburg für alle Bisthümer folgten im April und October 1786. Missgriffe bei der Einrichtung des General- Seminars zu Löwen führten Tumulte herbei, zu deren Unterdrückung das Militär einschreiten musste. Gaben schon diese im Allgemeinen mehr den Clerus berührenden Verfügungen Anlass, über die Absichten des Kaisers Misstrauen zu verbreiten und die allgemeine Stimmung aufzuregen, so verschlimmerte sich diese, als Anfangs des Jahres 1787 zwei Diplome erlassen wurden, welche auf eine Abänderung der Ver­fassung hinzielten. An Stelle der Provinzial-Administrationen führte das erste Diplom ein General-Gouvernement mit dem bevollmächtigten Minister als Präsidenten ein und schaffte den Staats-, Finanz- und geheimen Rath ab. Die Stände-Ausschüsse wurden aufgehoben; den Ständen verblieb nur das Recht zur Delegirung von fünf Mitgliedern für das ganze Land in den Gouvernementsrath. Das Land wurde gleich­zeitig in neun Kreise mit Intendanzen an der Spitze und Commissarien in den Districten eingetheilt. Das zweite Diplom betraf die vollständige Abänderung des Justiz Verfahrens, welche eine Erleichterung der Gerech­tigkeitspflege, ihre Beschleunigung und Verringerung der Kosten zum *) *) Siehe V. S. 136 der Mittheilungen des Kriegs-Archivs, Jahrgang 1883.

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