Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1885)
Major Wiener: Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr. Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763-1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreichs gegen die französische Revolution (Schluss)
ländischen Provinzen gegen näher liegende Territorien auszutauschen *), schritt Kaiser Josef an eine Umgestaltung der Verfassung und Verwaltung Belgiens, um sie jener der andern Länder seines Reiches anzupassen. War schon der Charakter des belgischen Volkes einer plötzlichen Einführung einschneidender Reformen abgeneigt, so wurden die Schwierigkeiten noch wesentlich vermehrt durch die getrennte Lage des Landes und die gefährliche Nachbarschaft des kleinen, aber freien, selbständigen Holland und des von inneren Kämpfen durchwühlten Frankreich. Der Entschluss Josef II., eine Provinz zu reformiren, die im Falle von Verwickelungen doch so schwer zu behaupten, war gewagt und mit ernster Gefahr verbunden. Die belgischen Provinzen bestanden aus dem Herzogthume Brabant, den Grafschaften Flandern, Namur und Hennegau, aus Theilen der Herzogthümer Limburg und Luxemburg und des Ober-Quartiers von Geldern. Jede dieser Provinzen hatte ihre aus zahlreichen Rechten und Freiheiten gebildete Verfassung, eigenthümliche Gerichtsbarkeit etc. Selbst einzelne Landschaften und Städte bildeten einen kleinen Staat mit besonderen Privilegien. Unabhängig von einander wie die Provinzen waren auch die in jeder derselben — Luxemburg ausgenommen — aus dem Clerus, Adel und Bürgerstand zusammengesetzten Stände, welchen die Entscheidung bezüglich der von der Regierung geforderten Subsidien, die Sorge für die Einhaltung der Localgesetze etc. oblag. Ein permanenter Ausschuss besorgte die Durchführung der Beschlüsse der periodisch tagenden General-Versammlung der Stände. Anderen Behörden, wie dem souveränen Rathe von Brabant und jenem von Hennegau, oblag speciell die Prüfung der Verfassungsmässigkeit der von der Regierung ergehenden Gesetze. Die Provinzen Brabant und Limburg besassen eine Art Verfassungsurkunde, welche die „Joyeuse Entrée“ genannt wurde, zum Andenken an den Einzug Philipp des Guten in Brüssel, bei welcher Gelegenheit sie bekannt gemacht worden war. Die dem Volke darin gewährten grossen Freiheiten machten die Joyeuse Entree zum Stolze der Niederländer. In dem letzten der 59 Artikel derselben hiess es, dass eine Verletzung der Privilegien durch Se. Majestät den Unterthanen die Einstellung ihrer Dienste gestatte. Die vielen Sonder-Privilegien waren wohl nicht geeignet, das Gesammtwohl zu fördern; aber es waren alte Einrichtungen, die, wenn auch schwerfällig und zum Theil fast überlebt, doch in den Augen des Volkes das Gepräge der Ehrwürdigkeit trugen und hochgehalten wurden. Die Stelle des Kaisers in den niederländischen Provinzen vertrat gewöhnlich ein Mitglied der kaiserlichen Familie als General*) Siehe „Der Austausch der österreichischen Niederlande gegen Bayern“, Mittheilungen des Kriegs-Archivs, Jahrgang 1883, S. 156.