Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1883)

Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr - J. Nosinich, Oberst im k. k. Kriegs-Archive: Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763 bis 1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreiches gegen die französische Revolution

144 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. derart heimgesucht und zerrissen, dass selbst die festbegründetsten Monarchien dadurch zu Grunde gehen müssten. Die Besitzungen der Türkei in Europa seien von jenen in Asien durch das Meer in natür­licher Weise getrennt. Die Mehrzahl der in den Provinzen befehligenden Paschas habe nur einen Scheingehorsam der Pforte gegenüber be­wahrt und könne kaum den günstigen Augenblick erwarten, die Herrschaft des Sultans abzuschütteln und der Beschlagnahme ihrer Güter und Schätze zu entgehen, aus denen fortwährend die leeren Cassen der Grossherren gefüllt werden. Die Mehrzahl der Christen, welche der Pforte botmässig und unterworfen seien, befinde sich in der nämlichen Lage. Die Türkei bevölkere sich mit fünf- oder sechsmal mehr Christen als Mohamedanern. Der Handel der ersteren sei ver­nichtet durch Monopole und Bedrückungen jeder Art. Räuber ver­wüsten das Land, die Ackerbauer, welche wegen Mangels an Sicher­heit den Feldbau meiden, flüchten in die Stadt, wo sie die Unord­nung und Verwirrung vermehren und die Lebensmittel vertheuern. Die Kriegs-Disciplin bei den Land- und See-Truppen bestehe nur dem Namen nach in diesem Lande; Janitscharen treiben den grössten Theil der Zeit Handel, verlassen nur mit Mühe ihre Kaufläden und wissen nur zu gut, dass sie fast immer blos mit Worten besoldet werden; Provincial-Truppen rücken mit der Armee nicht in’s Feld und zahlen auch keinen Tribut, sowie sie für ihren eigenen Herd zu fürchten haben. Der Divan fülle sich jährlich mit Leuten, die ge­schickter seien, Geld vermittelst Raubes anzuhäufen, als den Mängeln einer zusammenbrechenden Regierung zu steuern, für die der Koran der einzige Born der Weisheit und Staatskunst sei. Die Kaiserin wolle nicht reden von dem panischen Schrecken der türkischen Bevölkerung und selbst von dem des Divans und Serails, welcher bei jedem Kriegs- geschrei sich verbreite und seinen Ursprung in irgend einem Vers des Korans nehme. Ungeacl^et dessen brächten sie beständig Hinter­list und Intriguen in Anwendung, welche den Umsturz der ihnen missliebigen Verträge beschleunigen könnten, obgleich sie unter dem Schutze dieser einer ihnen so nützlichen Ruhe sich erfreuen. „Nach dieser Prüfung der Verhältnisse glaube Katharina, dass zwei unwandelbare Principien die Basis eines eventuellen Überein­kommens bilden sollten, und zwar: „1. Die Angelegenheiten derart zu ordnen, um jeder Discussion zwischen den drei Reichen zuvorzukommen und demzufolge so viel als möglich eine unmittelbare Nachbarschaft zwischen einander zu ver­meiden ; „2. vollständige Gleichheit in den Erwerbungen, welche die russische und österreichische Monarchie im Kriegsfälle zu machen sich vornehmen. „Was den ersten Punkt anbelange, so scheine es, als ob es schick­lich wäre, vorher und für immer zu beschliessen, dass ein unab-

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