Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1883)
Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr - J. Nosinich, Oberst im k. k. Kriegs-Archive: Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763 bis 1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreiches gegen die französische Revolution
IV. Der bayerische Erbfolgekrieg 1778—1779. 107 Die Naturgesetze, welchen die geistigen und physischen Kräfte des Menschen untergeordnet sind, machen sich namentlich bei Truppenführern (höheren Generalen) nach längerem Frieden und Erreichung eines gewissen Alters mehr oder minder geltend. Alter und Gebrechlichkeit bringen die zu einem harmonischen Ganzen verbundenen intellectuellen Fähigkeiten aus dem Gleichgewicht, lähmen die Willensund Thatkraft und verhindern selbst die ausgeprägteste Individualität und besten Anlagen, mit ganzer Macht einem Unternehmen sich zu weihen. Wie in der preussischen, sprachen sich auch in der österreichischen Armee die gewichtigsten Stimmen, die des Kaisers und der Kaiserin, gegen einzelne Führer des Heeres aus. Namentlich gilt dies von dem Feldmarschall v. Loudon, diesem Nationalhelden Österreichs, dem Sieger von Kunnersdorf, Landshut, Liegnitz, Glatz, Schweidnitz etc., über dessen Entschlüsse und strategische Dispositionen als Commandant der Iser-Armee der Kaiser Josef sich öfter missbilligend äusserte. Es mag seine Richtigkeit haben, dass Loudon bezüglich der strategischen Conceptionen als Oberbefehlshaber eines selbständig operirenden Heeres alle jene Eigenschaften nicht in sich vereinigte, die erforderlich sind, um Berechnungen zu machen, die, nach Napoleon’s I. Meinung, der Kräfte eines Newton oder Euler würdig wären. Im siebenjährigen Kriege hatte der Feldmarschall nur Corps commandirt, welche nach stricten Weisungen handelten und in dieser Eigenschaft bewährte er sich bei allen Schlachten, Gefechten, Belagerungen als vorzüglicher Taktiker, Terrainkenner und Beurtheiler. Es war ihm leider nicht vergönnt, im Feldzuge von 1761 in Schlesien, als er das Obercommando über ein Heer von 75.000 Mann führte, kriegerische Unternehmungen im Felde selbständig zu leiten, um seinen Feldherrngenius zu erproben und zur Geltung zu bringen. In Übereinstimmung mit dem Urtheile des Kaisers und der Kaiserin über Loudon steht übrigens auch jenes der zeitgenössischen Untergenerale, die mit dem Feldmarschall in näherem Verkehr standen und einen Theil seiner Umgebung bildeten. So entwirft der geistreiche, als grosser Menschenkenner und ausgezeichneter Soldat bekannte Feldmarschall Prinz de Ligne folgendes Bild von seinem Commandirenden: „Im Feuer entwickelt Loudon ein grosses Talent und einen seltenen Überblick und trifft immer die richtigsten Dispositionen, weil ihn das Gewehrfeuer elektrisirt. Sein Wesen, das im Kriege mehr einem Gotte, als einem Menschen ähnelt, entflammt zum Feuereifer1). Im Angriffskriege der Kriegsgott selbst, wird der Feldmarschall im Vertheidigungskriege zu einem Menschen, ja selbst zu einem Menschen von sehr übler Laune. Er ist eben so heftig als *) *) In ähnlicher Weise urtheilte Napoleon I. über Marschall Massena.