Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1883)

Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr - J. Nosinich, Oberst im k. k. Kriegs-Archive: Österreichs Politik und Kriege in den Jahren 1763 bis 1790; zugleich Vorgeschichte zu den Kriegen Österreiches gegen die französische Revolution

106 Kaiser Josef II. als Staatsmann und Feldherr etc. Bei den Österreichern machte die Armee des Feldmarschalls y. Loudon vom 5. bis 12. Juli im Durchschnitte Märsche von 3 Meilen (22,5km) und vom 31. Juni bis 6. Juli von 23/6 Meilen (20km) per Tag, einzelne Detachements auch das Doppelte. Während im Feldzuge 1778 die preussische Armee in sechs Tagen (28. Juli bis 2. August) aus der Gegend von Dresden an die Iser gelangte, brauchte im Feld­zuge 1866 die zwar viel stärkere preussische Elbe- und I. Armee auf derselben Route zur Hinterlegung einer ungefähr gleichen Entfernung zehn Tage (17. bis 26. Juni). Auch in Betreff der Artillerie hatte der bayerische Erbfolgekrieg neue Bahnen gebrochen. In den letzten Feldzügen des siebenjährigen Krieges wurde schon diese Waffe bedeutend vermehrt und fand in den Schlachten und Gefechten eine Massenverwendung. Der Kampf zwischen Österreich und Preussen 1778 bis 1779 setzte die Umwälzung fort, indem er die Stärke der Artillerie (4 Geschütze per Bataillon oder 1000 Mann) auf jene Höhe brachte, die seitdem als richtig er­kannt und bis auf die Neuzeit in allen Heeren beibehalten wurde. Der Vertheidigungskrieg, welchen die österreichischen Generale zu führen hatten, gab ihnen keine Gelegenheit, ihre Talente und Er­fahrungen zu entwickeln und zu verwerthen. Ungeachtet dessen scheiterten an der sinnreichen, durch gegenseitige rechtzeitige Unter­stützung der Theile sich ergänzenden Defensive, in Verbindung mit dem lebhaften kleinen Kriege, die Combinationen und Entwürfe der beiden grossen Heerführer, Friedrich II., dessen Bruders Heinrich und der Schule ihrer Taktiker. Der Geist der neuen Kriegskunst lebte in den Generalen jener Zeit noch nicht. Zwar nahmen Kaiser Josef und Feldmarschall v. Loudon, welche den Vortheil der inneren Linie bei der Theilung des Gegners erkannten, öfter den Anlauf, die engen Schranken zu durchbrechen, welche ihnen die die Strategie und Taktik gleich beeinflussende bedächtige Politik gezogen hatte. Auffallend erscheint es, dass erprobte Feldherrn, zum Theil Zeugen und Lenker des siebenjährigen Krieges, kein rechtes Ver­trauen einzuflössen wussten und den in ihre Leistungsfähigkeit gehegten Erwartungen nicht entsprachen. Der im besten Mannesalter stehende Prinz Heinrich — er war im Jahre 1778 erst 52 Jahre alt — führte öfter Klage über Bejahrtheit und Gebrechlichkeit seiner Generale und sprach sich seinem königlichen Bruder gegenüber dahin aus, dass ausser Möllendorf keiner davon mit einer schwierigen Auf­gabe betraut werden könnte. Friedrich II. schrieb hingegen, dass er gegen die Passivität seiner Officiere mehr zu kämpfen habe, als gegen die Österreicher und liess sogar einen derselben — General­major Graf Anhalt — wegen Pflichtvergessenheit im Dienst eine mehr­wöchentliche Festungshaft abbüssen. Mit den Leistungen des Erb­prinzen von Braunschweig war der König auch nicht immer zufrieden.

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