Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)

Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)

318 Wien’s militärische Bedeutung. Vormals fiel es Niemandem bei, aus der sicherlich nicht seltenen Eroberung von Festungen deren Nutzlosigkeit ahzuleiten, während diese jetzt darum so häufig ausgesprochen wird, weil heutige Befesti­gungen keiner jahrelangen Belagerung zu widerstehen vermögen. Ungeachtet aller Waffentechnik und Manövrirkunst werden auch die in der Gegenwart angewendeten Fortificationen ihre Schuldigkeit thun. Nur darf man von ihnen nicht mehr fordern, als sie eben bei Unterstützung der lebenden Streitkräfte zu leisten vermögen. Ausser Frage bleibt es, dass das Heer Sieg und Entscheidung weitab von der Metropole des Reiches suchen müsse. Ein Repli auf dieselbe im äussersten und widrigsten Falle ist, wie vorstehend aus der Geschichte erhärtet, gerade bei Österreich nothwendiger als in jedem anderen Staate. Hart würde darum das Vorurtheil gebüsst, dass Reichshaupt­städte ihrer räumlichen Ausdehnung und der ferneren Vergrösserung wegen sich nicht durch Befestigung gegen einen feindlichen Hand­streich sichern lassen. Das System der heutigen Befestigungskunst muss in Rücksicht auf die gesteigerte Geschützwirkung trachten, entweder durch einen zusammenhängenden Gürtel von Forts oder durch Gruppenhefestigung die fortificatorischen Schutzmittel so weit von der Stadt entfernt anzu­legen, dass diese hiedurch unmöglich in ihrer räumlichen Entfaltung gehindert werden kann. Im Frieden werden die weitab vom Weichbilde der Stadt angelegten Bollwerke Handel und Wandel nicht im Entferntesten berühren. Im Kriege aber findet die Bevölkerung von nahezu einer Million, selbst wenn der Feind vor den Thoren steht, die Möglichkeit, dem gewohnten Berufe nachgehen zu können, ohne befürchten zu müssen, in jedem Momente das Leben oder Hab und Gut zu ver­lieren. Weit vom Verkehrsleben der Stadt spielt sich der Kriegs­act ab. Verhältnissmässig klein endlich erscheinen die Kosten einer der heutigen Waflfentechnik entsprechenden Gürtellinie oder für Befestigungs­gruppen jenen Summen und anderen Werthen gegenüber, welche ein siegreicher Feind in Gegenwart und Zukunft aus dem in allen denk­baren Beziehungen reichen Wien zu ziehen vermag, wenn es ihm gelingt, sich desselben, wie Napoleon I., zu bemeistern. Vorstehend war nur von Österreich die Rede, welches stets gefasst sein muss, sich mehrerer Gegner gleichzeitig erwehren zu können. Nun wird aber Niemand in Abrede stellen, dass auch jene Mächte, die in Folge ihrer günstigen geographischen und politischen

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