Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)

Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)

III. Schlussbetraclitungen. 317 dass sich ein kühner Feldherr nicht blos auf die Niederwerfung der lebenden Streitkräfte beschränkt, sondern dass er den Erfolg seiner Siege erst in der Reichshauptstadt zu suchen weiss. Es steht ausser Frage, dass in der Zukunft die Kriege zwischen den europäischen Grossmächten schon in Rücksicht auf Finanzen, Grösse der aufgebotenen Heere, Wehrverfassungen, Waffentechnik und grosse Beweglichkeit selbst bedeutender Massen (in Folge der Communi- cationsmittel) sehr raschen Verlauf nehmen müssen. Gerade darum sind befestigte Manövrirplätze namentlich an Stromlinien von strate­gischer Wichtigkeit unerlässlich. Deren Vortheil besteht vornehmlich darin, dass das fortificatorische, das artilleristische und das taktische Moment, wenn sie in richtige Wechselwirkung gebracht werden, das günstigste Resultat erzielen können. Die grosse Chance, welche sich für den Angreifer kleineren Festungen gegenüber darbietet, ist bei der ausgedehnten Peripherie verschanzter Stellungen in der Gegenwart schon von Hause aus fast gänzlich ausgeschlossen. Allerdings gilt dies nur dann, wenn die lebenden Streitkräfte die ihnen zukommende Rolle: die Entscheidung mittelst des Kampfes im freien Felde in dem richtigen Momente zu suchen und herbeizuführen, auch thatsächlich übernehmen. Gerade aus diesem Grunde hat die von den Gegnern der Be­festigung mit Vorliebe in’s Treffen gebrachte Cernirung von Paris keine Beweiskraft. Sie wurde mit 122.661 Mann Infanterie, 24.325 Mann Cavallerie und 622 Geschützen auf einer 11 Meilen weit ausgedehnten Einschliessungslinie unternommen. Dass diese Blokade überhaupt Erfolg haben konnte, nachdem die zur Gegenwehr vorhanden gewesenen Streitkräfte Frankreichs numerisch stärker waren, findet seine Erklärung in Folgendem. Unberücksichtigt dessen, dass Configuration und Beschaffenheit des Bodens um Paris dem Angreifer absolute Vortheile darboten, fehlte dem Vertheidiger die volle Bewegungsfreiheit nach Aussen. Eben dadurch waren die Franzosen zum grösseren Theile auf passive Ab­wehr beschränkt. Wesentlich gesteigert wurde die an und für sich ungünstige Situation durch den Umstand, dass die lebenden französi­schen Streitkräfte vermöge mangelhafter Organisation und der Deroute sich zu keiner grossen Offensiv-Action gebrauchen Hessen. Greifen wir zurück in der Geschichte der Befestigungskunst, so zeigt sich, dass kein Kriegsbaumeister je in dem Wahne lebte, unein­nehmbare Bollwerke schaffen zu können. Kunstgerecht geführter Bela­gerung musste endlich selbst die grösste und stärkste Festung zum Opfer fallen, wenn der Entsatz nicht zu rechter Zeit kam. Ganz das Nämliche gilt noch heute. Der Unterschied liegt nur in dem Zeiträume, innerhalb welchem sich der ganze Act abspielt. 22*

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