Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)
Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)
316 Wien’s militärische Bedeutung. térté ja 1814 zwischen Seine und Marne zunächst nur deshalb, weil das damalige Paris völlig offen war. Schon aus vorstehenden kurzen Auseinandersetzungen geht mit apodiktischer Gewissheit hervor, dass in jedem Kriege, in welchem Österreich-Ungarn mit einem oder mehreren Nachharn zugleich verwickelt werden mag, Wien stets das Operationsziel bilden muss. Wir können aber das Gebiet der geographisch-politischen Betrachtungen nicht verlassen, ohne darauf hinzuweisen, dass uns die Geschichte in Hunderten von Beispielen lehrt, wie ungemein trügerisch die Hoffnung auf Allianzen sei, und wie rasch sich oft die günstigsten Constellationen in solcher Beziehung gerade dann völlig ändern, wenn sie am meisten Vorth eile darbieten würden. Bündnisse müssen wohl gesucht und geschlossen werden. Aber ein Grossstaat soll auch, ohne auf solche zu zählen, all’ dasjenige vorkehren, was ihn von herben Verlusten und vor Erniedrigung bewahren kann. Die überzeugende Kraft der lediglich aus historischen That- sachen entwickelten Gründe, sowie die allgemeine Lage Österreichs, welche aus der jüngsten politischen, socialen und militärischen Entwicklung Europa’s hervorgegangen ist, lassen die widerstandslose Preis- gebung einer Stadt von Wien’s politischer und strategischer Bedeutung, auch bei den momentan günstigsten Beziehungen zu den Nachbarstaaten, unverantwortlich erscheinen. Ewig unverändert bleibt das Grundprincip der Kriegführung: „Vernichtung der feindlichen Streitkräfte“ : Alexander, Hannibal, Caesar, Gustav Adolf, Turenne, Eugen, Friedrich II., Napoleon I. verfügten dieses auf Vernunft basirte Ziel. Damit aber der besiegte Theil solcher Vernichtung entgehe, braucht er eben die Befestigungen an den strategisch wichtigsten Punkten. Sie sind ja das Mittel, um eine Katastrophe verhindern zu können. Gerade in der Gegenwart erscheint es unabweislich, die dem wahren Bedürfnisse entsprechenden Befestigungen anzulegen, um den lebenden Streitkräften für jene Momente, in welchen sie nicht mit dem Feinde in offenen Kampf treten können, zeitweilig Appuis zu gewähren. Die Geschichte vieler Feldzüge belehrt uns, und alle Wandlungen in der Art der Kriegführung ändern nichts daran, dass innerhalb der Monarchie die Donau die strategisch wichtigste Linie und in deren ganzer Erstreckung Wien wieder der strategisch wichtigste Punkt sei. Wien’s Grösse nach Raum, Bevölkerungszahl und Reichthum, die hohe politische und moralische Bedeutung der Kaiserstadt, endlich die überaus wichtige geographische Position mussten früher und müssen noch mehr in der Zukunft die grösste Anziehungskraft auf einen siegreichen Gegner ausüben. Napoleon’s I. schnelle Eroberungen haben ja gelehrt,