Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)

Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)

III. Schlussbetrachtungen. 313 III. Schlussbetrachtungeii. Richten wir nach diesem Rückblicke auf Vergangenes auch auf die Gegenwart ein prüfendes Auge, und unterziehen wir beide einem Vergleiche, so treten uns eigenthümliche Erscheinungen entgegen. Schlichte Bürger mit einem Gesichtskreise, der die Grenzen des Gewerbes etc. kaum oder nur wenig überragte, setzten vor zwei Jahr­hunderten Leben, Gut und Blut ein, den äusseren Feind von der Stadt Wien abzuwehren. Niemals früher machte Österreich und namentlich das Reichs­centrum die Stadt Wien, wie in der Jetztzeit, so glänzende Fortschritte in Wissenschaft und Kunst, in Handel und Industrie, in Gesetzgebung und Verwaltung und in der Verbreitung des Lichtes in allen Schichten der Bevölkerung. Bei so vielen hoffnungsreichen Zeichen innerer Entwicklung in einer grossen Gegenwart tritt aber der Contrast mit der Vergangenheit auch dadurch hervor, dass man es kühl ablehnt, Anstalten zu treffen, um die Weltstadt vor Feindesgefahr bewahren zu können. Sollen Civilisation, Aufklärung, Humanität und die zahl­losen herrlichen, materiellen Früchte langer, rastloser Arbeit bedingungs­los jedem Feinde preisgegeben werden, dem es beifällt, mit steigender Kühnheit den Kaiserstaat anzufallen? Niemand in der Welt verkennt Österreichs Anstrengungen und die gebrachten Opfer zur Aufstellung und Erhaltung einer achtunggebie­tenden Heeresmacht. Diese allein, ohne die nöthigsten Stützen, welche die Befestigungskunst an die Hand gibt, und unter denen Wien stets die wichtigste Rolle spielte und spielen wird, vermag aber die Kriegs­lagen nicht zu beherrschen. Denn Österreichs geographische Position ist es, welche in dem europäischen Staatengefüge die Bedrohung durch Nachbarn erleichtert, und dabei stets das geographische, politische und strategische Centrum „Wien“ gefährden muss. Würde uns dies nicht schon die Geschichte deutlich lehren, so müsste einfache Logik zu dem nämlichen Schlüsse führen. Mag man die Frage, ob Wien eines fortificatorischen Schutzes bedürfe vom geographischen, politischen, administrativen, strategischen oder fortificatorischen Standpunkte ventiliren, so ergibt sich stets die nämliche Antwort. Unterziehen wir, nicht auf Theoreme, sondern auf die histo­rischen Thatsachen gestützt, die strategische Position unserer Kaiser­residenz nur oberflächlicher Prüfung, so ist nach jeder Richtung hin das Resultat ein überraschend gleichmässiges. Aus allen Österreich umklammernden Staaten convergireii gegen Wien nicht nur zahlreiche sondern auch mannigfache Bewegungslinien

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