Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)

Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)

314 Wien’s militärische Bedeutung. und selbe vereinigen sich dort zu einem der bedeutendsten Strassen- knoten. Jede feindliche Operation, von wo aus dieselbe auch gegen den Staat Österreich begonnen werden mag, trifft, wenn sie nicht schon früher durch die lebenden Streitkräfte paralysirt werden konnte, zuletzt immer auf den strategisch und politisch wichtigen Punkt Wien. In Rücksicht auf den Siidwesten und Westen hat Österreich in dieser Beziehung die reichsten und zugleich die bittersten Erfah­rungen gemacht. 1797, 1800, 1805 und 1809 war es jedesmal die Residenz, auf die der Feind ahzielte, um den Kaiserstaat zu nach­theiligem Friedensschlüsse zu zwingen. In den Frieden von Press­burg und Wien, 1805 und 1809, musste der Verlust der Reichshaupt­stadt in ersterem Jahre mit der Einbusse von 1000 Quadrat-Meilen und 3 Millionen Einwohnern, in letztgenanntem Jahre mit 2000 Quadrat- Meilen und 4'/2 Millionen Einwohnern aufgewogen werden. Dabei sind aber die bereits angedeuteten grossen materiellen Opfer nicht nur der Wiener, sondern auch der Gesammtbevölkerung gar nicht in Rechnung gebracht; zu geschweigen des Verlustes an politischem Ansehen! Dass die Katastrophe von 1805 nur Folge der Wehrlosigkeit Wien’s war, spricht Napoleon selbst unzweideutig aus: „Wenn die Feindseligkeiten, wie zu befürchten war, vor dem Herbste beginnen, so würden die Heere des verschworenen Europa’s viel zahlreicher als die französischen Armeen sein, und unter den Mauern von Paris und Lyon würde sich dann das Schicksal des Kaiserreiches entscheiden.“ „Wenn indessen 1805 Wien befestigt gewesen wäre, die Schlacht bei Ulm hätte nicht über den Ausgang des Krieges entschieden; das Armee-Corps, welches Kutusow befehligte, hätte dort die anderen russi­schen Armee-Corps erwartet, welche bereits bei Olmiitz standen, ebenso die Armee des Erzherzogs Carl, welche auf dem Wege von Italien sich befand.“ „Im Jahre 1809 hätte Erzherzog Carl, welcher bei Eggmühl geschlagen und gezwungen wurde, seinen Rückzug auf dem linken Donau-Ufer auszuführen, die Zeit gefunden, bei Wien einzutreffen und sich dort mit Hiller und dem Erzherzog Johann zu vereinigen.“ „Wenn 1800 Berlin befestigt gewesen wäre, die bei Jena ge­schlagene Armee hätte sich dort gesammelt und die russische Armee wäre dort zu ihr gestossen').“ Selbst das Jahr 1866 ertheilt uns in Rücksicht auf den Süd­westen eine eindringliche Lehre. Österreichs Südarmee, von Marschall Erzherzog Albrecht geführt, hatte in der italienischen Tiefebene den Feind entschieden geschlagen. Unmittelbar danach musste selbe nach Norden beordert werden. Ihr Abmarsch nach Wien wäre aber, falls 1 1) Band IX der „Memoiren Napoleon I.“, Seite 34—44.

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