Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)
Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)
II. Wien’s kriegshistorische Vergangenheit. 307 Zunächst sich selbst, und der Hingebung und Kraft ihres Volkes dankte Maria Theresia die Bannung des Sturmes, welcher bei ihrem Regierungsantritte über die Marken der Erblande hereingebrochen war. Bis zu dieser für Österreich so bedeutungsvollen Zeit galt Wien nach den damaligen Begriffen als Festung; denn es waren an den zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits vorhandenen Bastionen und dieselben verbindenden Courtinen im Laufe der Zeit nach Thunlichkeit jene Verstärkungen angebracht worden, welche spätere Kriegsbaumeister an die Hand gaben, wenngleich die ganze Befestigungsanlage stets höchst einfach blieb. Hatte auch der Kern, d. h. die innere Stadt Wien durch seine überaus hohen Wälle und den tiefen und breiten Graben an und für sich bedeutende Widerstandskraft, so wurde dieselbe doch durch das Anwachsen der Vorstädte rings um das Glacis mehr und mehr paralysirt. Die während des spanischen Erbfolgekrieges errichteten Linienwälle boten absolut keinen Schutz gegen einen mit Artillerie versehenen Feind, und es mussten dadurch die Vorstädte dem Gegner in die Hände fallen. Somit aber verlor die besser befestigte innere Stadt jene Bedingungen, welche den Begriff „Festung“ involviren. Darum wirkte während des siebenjährigen Krieges 1760 auf Daun der Gedanke deprimirend: mit seiner Armee einen entscheidenden Schlag zu wagen, weil Österreich auf Bundesgenossen nicht so sicher zählen konnte, und er fürchtete, mit dem Verluste einer grösseren Schlacht den Staat an den Rand des Verderbens zu bringen. Allerdings hatte dieser Feldherr geringe Neigung an den Tag gelegt, in den richtigen Momenten die Initiative zu ergreifen. Ihn beherrschte vorwiegend die Sorge um das Innere des Reiches: „In dieser harten Krise leicht etwas zu unternehmen, wo Krön und Szepter, mithin die ganze Monarchie dependirt, ist wahrlich gar zu schwer, auf sich allein zu nehmen.“ Seiner Sorge verlieh er Ausdruck durch folgende Worte: „En cas de malheur la retraite seroit bien difficile sans une déroute entiére; par la il est done question si on doit jouer le tout pour le tout.“ In diesem Dilemma legte Daun es der Kaiserin ans Herz, dass es am geratliensten sei, sich mit den österreichischen Streitkräften in den Bergen Schlesiens defensiv zu verhalten, um dadurch einen minder ungünstigen Frieden zu erzielen, als jener ausfallen müsste, wenn der Feind der geschlagenen kaiserlichen Armee in das Innere der Monarchie nachfolgen würde. Auch König Friedrich II. von Preusscn betrachtete die Haupt- und Residenzstadt Wien als denjenigen Punkt, an welchem man Österreich am empfindlichsten treffen könne. Bei den Entwürfen zu dem Feldzugsplane im bayerischen Erbfolgekriege 1778—79 bemerkte er: „In allen Kriegen, welche man gegen das Haus Habsburg unter