Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1882)

Josef Rechberger Ritter von Rechkron, Oberstlieutenant im k. k. Kriegs-Archive: Wien's militärische Bedeutung (Eine historische Studie)

308 Wien’s militärische Bedeutung. nimmt, muss man als Hauptziel vor Augen haben, das Kriegstheater, soweit als irgend möglich, an die Ufer der Donau zu verlegen, und zwar aus zwei Gründen: einmal, um die Armee Österreichs ihres Unterhaltes und ihrer Recruten zu berauben, zum andern, um die Hauptstadt, in welche sich alle grossen Herren mit ihren Schätzen geflüchtet haben, zu beunruhigen.“ „Wenn Wien ruft, wird alle Welt zu Hilfe eilen, und dann hat man die Hände frei, sowohl in Böhmen wie in Mähren.“ „Von der 55.000 Mann starken Armee in Mähren müsste ein starkes Detachement längs der March über Hradisch, Ungarisch-Brod, der Strasse nach Pressburg folgend, Vorgehen. Letzterer Ort würde das Ziel des Detachements sein; dort angekommen, müsste es sich unverzüglich des Donauüberganges bemächtigen: 1. um die Transporte der Magazine von Ungarn nach Wien zu unterbrechen, 2. um Strei­fungen bis an das Weichbild von Wien zu unternehmen. Es ist ziemlich sicher, dass, wenn der General, der ein solches Detachement befehligt, einige Klugheit besitzt, er sich Lebensmittel in Fülle aus der am besten bestellten und reichsten Gegend Ungarns verschaffen wird.“ „Eine solche Unternehmung würde ohne Zweifel eine Schlacht in Ungarn zur Folge haben; es wird dies jedoch eine Schlacht in der Ebene sein, bei welcher 100 gegen 1 zu wetten ist, dass der Vortheil auf Seiten der Preussen sein wird. Die Hilferufe der Hauptstadt wer­den von allen Seiten Detachements heranlocken, man wird Olmütz und Böhmen im Stiche lassen, um Wien zu retten, und dies ist die Schäferstunde, die man ausnützen muss, um weiter vorwärts zu kom­men, die March dann zu überschreiten, die Umgegend von Olmütz zu verwüsten und Brünn zu belagern. Von diesem Augenblicke an wer­den die Armeen in Böhmen sich Österreich nähern können, und wenn ihnen das Schicksal eine glückliche Schlacht verschafft, wird nichts sie hindern, gegen die Donau vorzugehen. Der kaiserliche Hof wird sich dann zu einem vernünftigen Frieden verstehen.“ Was der König von Preussen nur im Schilde führte, hatte wenige Decennien nach ihm Napoleon I. zur That werden lassen. Schon 1797, als der republikanische General Bonaparte den Isonzo überschritt, hatte er das Endziel, über den Semmering auf Wien loszurücken. Nur das Zusammentreffen günstiger Umstände bewahrte damals unsere Kaiserresidenz vor dem geplanten Schlage. Abgesehen von dom allgemeinen Aufgebote in Österreich und jenem der adeligen Insurrection in Ungarn, war man bestrebt gewesen, die Höhen des Wienerberges durch starke Verschanzungen zu decken. Noch nicht völlig verwischt sind deren Spuren jenseits der „Spinnerin am Kreuz“ und auf dem Laa’er Berge. Zweifellos trug diese Mass­nahme dazu bei, dass sich der siegreiche französische Feldherr sobald zum Abschlüsse des Waffenstillstandes von Leoben herbeiliess.

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