Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs (1881)

Moriz v. Angeli, Major im k. k. Kriegs Archive: Der Krieg mit der Pforte 1736 bis 1739 - IV. Der Feldzug 1739 und der Friede von Belgrad

IV. Der Feldzug 1739 und der Friede von Belgrad. 479 weit natürlichere Erklärung findet, ist der Vorwurf, den man Öster­reich in anderer Hinsicht macht, nämlich: ohne Rücksicht auf seinen Alliirten Frieden geschlossen und dadurch die russische Armee in ihrem Siegesläufe aufgehalten, und um die Früchte ihrer Erfolge gebracht zu haben. Russlands Haltung war vom Anfänge wenig loyal. Die Absicht, Nutzen aus dem Bündnisse mit dem Kaiser zu ziehen, ohne den Alliirten daran theilnelnnen zu lassen, leuchtet aus Allem klar hervor. Indem es den Kaiser zur Unzeit zur Theilnahme am Kriege zwang, hoffte es ihn in die Unmöglichkeit zu versetzen, ernstlich in die Action einzutreten, während das blosse Verlangen Russlands nach Erfüllung der Bundespflicht der Pforte gegenüber eine genügende Drohung sein musste, um ihm mit Rücksicht auf einen möglichen Krieg mit Österreich die Hände zu binden. Nie hat Russland in seinen militärischen Öperationen auf seinen Alliirten Rücksicht genommen, noch dieser irgend welchen Nutzen aus dem Bündnisse gezogen. In den beiden ersten Jahren kamen die russischen Armeen auch nicht in die entfernteste strategische Beziehung zu jener des Kaisers, wohl aber die Türken im zweiten und dritten Kriegsjahre jederzeit in die Lage, ihre Hauptmacht gegen die Donau und Morava verwenden zu können. Als Münnich endlich im letzten Jahre nach dem wohlfeilen Siege bei Stawutschane in Jassy einzog, war dies einerseits die Folge politischer Umtriebe der moldauischen Bojaren, anderseits eine rein persönliche Angelegenheit Münnich’s, dessen ehi-geizige Hintergedanken auch in Petersburg kein Geheimniss waren, und viel zur Bereitwillig­keit beitrugen, welche Russland schliesslich den Friedensbemühungen Villeneufs entgegenbrachte. Von einem „unterbrochenen Siegesläufe“ aber wird Niemand sprechen, der die russischen Operationen von 1739 mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt. Wie gering die Vortheile, welche Russland aus dem Frieden zog, äusserlich auch immer erscheinen mögen, den Kriegszweck hatte es nichtsdestoweniger doch vollauf erreicht. Bis zum Belgrader Frieden stand es weitab von seinem Ziele: massgebenden Einfluss auf die sogenannten orientalischen Angelegenheiten Europa’s zu nehmen; bis dahin war es eine, in den ersten Stadien der Entwickelung begriffene Macht, von der man selbst im diplomatischen Verkehre nur als des „Zaren von Moskau“ erwähnte. Erst durch den Belgrader Frieden konnte es die Hand an das Schwarze Meer legen; erkannte die Pforte die Zarin als „Kaiserin von Russland“ an. Von diesem Zeitpunkte an datirt in Wahrheit die „orientalische Frage“.-----------------H-----------------

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