Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs - Die Occupation Bosniens und der Herzegovina (1879)

Einleitung

16 Vorgeschichte. die Aufrechthaltung des status quo im Oriente und der Schutz der europäischen Herrschaft der Türkei als eine der fundamentalen Voraus­setzungen des Fortbestandes des europäischen Friedens zu betrachten sei; dann aber in der politischen Erkenntniss, dass diese conservative, das Rechtsprincip wie die allgemeinen Interessen Europa’s gleichmässig berücksichtigende Politik die Empfehlung und Anbahnung zeitgemässer, auf eine dauernde Befriedigung der christlichen Bevölkerung des türkischen Reiches gerichteten Reformen nicht ausschliesse. Zu diesem Behufe sollte daher die Action der Mächte in doppelter Richtung, und zwar auf die Insurgenten der Hercegovina und auf die Türkei gleichzeitig in Anwendung gebracht werden und zur Schonung der Empfindlichkeit der Pforte die individuelle und nicht collective Form annehmen, unbeschadet der vollständigen Identität der Ansichten der drei Cabinete. Eine förmliche Mediation wäre zu vermeiden und durch die guten Dienste (bons offices) zu ersetzen, deren Zweck lediglich in der Erleichterung eines directen Abkommens zwischen der Pforte und ihren Unterthanen bestehe. Die Mächte würden ihre Consulen auf den Schauplatz der Ereignisse entsenden, damit diese den Insurgenten Worte der Versöhnung sprechen. Sie sollten jedoch nicht in officiöser Eigenschaft functioniren, sondern nur ein conciliatorisches, auf Anbahnung eines Ausgleiches zwischen den streitenden Parteien gerichtetes Mandat erfüllen, indem sie sich mit den Aufständischen in Verbindung setzen, ihre Beschwerden vernehmen, sie bewegen, während der Dauer der Verhandlungen jedes Angriffes auf die türkischen Truppen sich zu enthalten und ihnen die Versicherung ertheilen, dass die Pforte bereit sei, befriedigende Zugeständnisse zu machen. Dagegen hätten die Consulen jedes gemeinsame Vorgehen zu vermeiden und jede Garantie oder Verbindlichkeit abzulehnen, welche eine Intervention von Seite der fremden Mächte in sich schliessen würde. Zur Unterstützung der consularischen Versöhnungs-Action sollten die drei Botschafter in Constantinopel nach gegenseitigem Einvernehmen der osmanischen Regierung empfehlen, den Insurgenten die Möglich­keit zu bieten, ihre Beschwerden den Pforten-Commissären vorzutragen und mit denselben hierüber zu verhandeln. Dabei sollte ausdrücklich erklärt werden, dass diesem Schritte jede Absicht einer nach den Ver­trägen unberechtigten Einmischung in die Beziehungen der grossherr­lichen Regierung zu ihren Unterthanen abseits liege. Der Aufstand in der Hercegovina sei ohne Widerspruch eine innere Frage, aber die geographische Lage dieser Provinz und die periodische Wiederkehr der Unruhen erzeugen eine beständige locale Unbehaglichkeit und halten die dem Frieden und der Erhaltung (conservation) befreundeten Mächte sichtlich befangen. Sollte nämlich die Action der türkischen Truppen das Mass dessen überschreiten, was zur Wiederherstellung der Ordnung und Gesetzlichkeit wirklich nothwendig ist, oder sollte die durch Waffengewalt zur Entscheidung kommende Feindschaft den Charakter eines Kampfes der Repressalien annehmen, so könnte der bisher beschränkt gebliebene Streit leicht in einen Volks- und Religions­krieg umschlagen, die angrenzenden christlichen Gebiete ergreifen,

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