Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs 2. (1877)

Betrachtungen über die Schlacht bei Solferino

38 Betrachtungen über die Schlacht bei Solferino. Von den zahlreichen Ursachen, welche angeblich die Niederlage von Solferino veranlasst haben, sollen nur die hauptsächlichsten und schwerwiegendsten aufgeführt und ihre Berechtigung kritisch untersucht werden, um dann zu der Schlussbetrachtung übergehen zu können. Bezüglich der Stärkeverhältnisse wurde die Behauptung aufge­stellt, die Armee-Oberleitung habe die Vereinigung der Hauptmacht auf dem entscheidenden Punkte versäumt, indem sie weder das 6. Armee-Corps aus Tirol und das 10. Armee-Corps vom untern Po zu der Vorrückung über den Mincio herangezogen, noch der Division Jellacic des 2. Armee-Corps eine concentrische Richtung gegeben hatte. Wäre dieses Versäumniss vermieden worden, so hätten die Österreicher am 24. Juni 40.000 Mann mehr, mithin eine Übermacht zu Gebote gehabt, welche ihnen trotz aller taktischen Sünden wohl den Sieg verschafft hätte. Tirol und der untere Po würden am sicher­sten durch einen über die Haupt-Armee der Alliirten errungenen Sieg geschützt worden sein. So richtig im Allgemeinen der Grundsatz ist, alle Kräfte zum Hauptschlage auf dem entscheidenden Punkte zu vereinigen, auch wenn secundäre Zwecke dadurch momentan leiden, so beruht der im vor­liegenden Falle erhobene Einwurf doch zum guten Theile auf will­kürlichen Annahmen. Das in seinen Hauptbestandtheilen aus vierten Bataillonen zusammengesetzte 6. Armee-Corps war, äusserst mangel­haft ausgerüstet und ausgebildet, erst Mitte Juni in Gewaltmärschen nach Südtirol verlegt worden. Der Eisenbahn-Transport seiner beiden Brigaden, Henikstein und Reichardt, von Wörgl im Salzburgischen nach Innsbruck in Tirol hatte, vom 6. bis 13. Juni, also im Ganzen sieben Tage gedauert. Die Entfernung von Bozen, welchen Ort die Tete-Brigade Reichlin am 14., sämmtliche Batterien der Corps-Geschütz- Reserve, wie die Munitions-Unterstützungs-Reserve aber erst gegen 25. Juni erreicht hatten, über Verona bis Peschiera beträgt über 180km oder gegen 25 Meilen. Das 6. Armee-Corps hätte daher in seiner Gesammtheit vor dem 28. Juni bei Peschiera nicht ver­einigt stehen können. Im Übrigen ist zu erwägen, dass die Auf­stellung des 6. Armee-Corps in Südtirol die ganze sardinische Division Cialdini und das gesammte Alpenjäger-Corps Garibaldi’s in der Gesammtstärke von 18.000 bis 20.000 Mann von der Haupt- Entscheidung bei Solferino ferngehalten hatte. Würde das 6. Armee- Corps aus Südtirol an den Mincio gezogen worden sein, von welcher Ver­schiebung die Verbündeten durch ihre zahlreichen und guten Kundschafter jedenfalls rechtzeitig benachrichtigt worden wären, so hätte eine ihm gleichgewichtige gegnerische Kraft bei Solferino mitgewirkt. Die Heeres­leitung war wohl darauf bedacht, zu dem am 26. Juni an dem Chiese

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