Á. Berta (Hrsg.): Wolgatatarische Dialektstudien: Textkritische Neuausgabe der Originalsammlung von G. Bálint, 1875–76.
Á. Berta: Vorwort
II Nach entsprechenden Vorbereitungen und Vorstudien (teilweise in Russland) ist Bálint am 17.06.1871 in Kasan, der ersten Zielstation seiner Forschungsreise eingetroffen. Während seines dreimonatigen Aufenthaltes in Kasan stand er in enger Beziehung zu N.I. iFminskij, dem Schulinspektor der tatarischen Zentralschule. Il'minski] galt zu seiner Zeit als einer der bestgeschultesten Kenner des Tatarischen. [4] Auf seine Ratschläge hin widmete Bálint seine Aufmerksamkeit — wie er schreibt [5] — der unverdorbenen Volkssprache, nämlich der Sprache getaufter Tataren. Bálints Tätigkeit konzentrierte sich in Kasan auf die Schule Getaufter (russ. krjaSen , tat. keräse n), wo er die absolute Mehrheit seiner Materialien von den Seminaristen und Lehrkräften sammelte. [6] Bálints Sammlung enthält verschiedene thematische Einheiten: Sprichwörter, Rätsel, Volkslieder, Heldenlieder, Volksmärchen, Parabeln, Gleichnisse, Auszüge aus tatarischen Schul- und Lesebüchern. Über seine Sammeltätigkeit, Methoden und Verfahren während der Zusammenstellung seiner Materialien in Kasan erstattete Bálint am 2.März 1874 Bericht[7] an die Sitzung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Seinem Vortrag nach habe er die Sprichwörter, Rätsel und Lieder nach dem Vorsprechen der tatarischen Seminaristen eigenhändig aufgezeichnet, und nachher habe er das Aufgezeichnete, um eventuelle Hör- bzw. Schreibfehler möglichst zu vermeiden, seinen Gewährsleuten wieder vorgelesen. Als die mit kyrillischen Buchstaben und nach den Regeln der damaligen, in den Schulen der Getauften verwendeten, Orthographie [8] abgeschriebenen Sätze verbessert worden waren, liess Bálint die tatarischen Texte von seinen Gewährsleuten und besonders von Timofeev, dem Geistlichen und Lehrer der Schule [9] erklären und Ubersetzen .[10] Im Falle der übrigen Texte — so setzt Bálint seinen Bericht fort — habe er von seinen Gewährsleuten schriftliche Materialien bekommen. Die Volksmärchen haben die Seminaristen gegen kleinere Geschenke für seine Sammlung abgeschrieben, die Texte über den Aberglauben bei den Tataren stammen von dem Hilfslehrer Simon Gäürlö, der auch bei der Verbesserung und Erklärung aller schriftlich gesammelten Materialien Bálint zur Seite stand. Die letzte Gruppe der tatarischen Texte stellt eine kleine Chrestomathie aus Schul- und Lesebüchern dar. Bálint hat in Kasan nicht nur Texte gesammelt, sondern auch kleinere Wortlisten zusammengestellt. In einem nahegelegenen Dorf hat er die Terminologie des Schusterhandwerks zusammengetragen, anderswo hater die Fachausdrücke der Ernte- und Drescharbeit aufgezeichnet. [11] Die Wortsammlungen — betont Bálint — stammen ebenso von Getauften. Das mehrfache Hervorheben dessen, dass seine Materialien ausschliesslich von Getauften gesammelt worden sind, beweist dass Bálint diese Tatsache für sehr wichtig gehalten hat. Bálint deutet an mehreren Stellen daraufhin, dass die Sprache der Mohammedaner von der der Getauften abweicht. Wie er meint, sind die sprachlichen Unterschiede vor allem lexikalischer Art. Die Getauften haben den türkischen Wortschatz im allgemeinen beibehalten, die Sprache der Mohammedaner dagegen — so Bálint — ist mit arabischen, persischen und osmanischen Wörtern überhäuft. [12] Trotz der existierenden lexikalischen Unterschiede — schreibt im weiteren Bálint — hat sein mohammedanischer Diener die bei den Getauften gesammelten Texte vollkommen verstanden. [13]