Zalai Múzeum 11. Kereszténység Pannóniában az első évezredben (Zalaegerszeg, 2002)

Daim, Falko: Pilgeramulette und Frauenschmuck? Zu den Scheibenfibeln der frühen Keszthely–Kultur

120 Daim, Falko 3.2 Die Keszthely-Kultur als historisches Phano­men In der zweiten Halfte des 20. Jahrunderts war die ungarische Archâologie bemüht, die Einzigartigkeit der awarischen Kultur hervorzuheben und betonte besonders ihre östlichen Verbindungen. Sie malte das Gemâlde von einem östlichen Reitervolk, dessen kultu­relle Verânderungen stets durch Einflüsse, vor allem durch weitere Einwanderungswellen aus dem Osten ausgelöst worden sind. Dieses Reitervolk errichtete iiber die ansâssige, lokale Bevölkerung ein strenges Regime und hatte somit aile Fâden in der Hand. Die Keszthely-Kultur war von diesem Standpunkt aus gese­hen nur als Ergebnis einer zielgerichteten Politik, als Ergebnis von Umsiedlungen byzantinischer Bevölke­rungsgruppen denkbar. Auch wenn derartige Umsied­lungen nach den Quellén durchaus stattgefunden haben, so können wir doch ausschlieBen, daB man gerade Kriegsgefangene an einen der wichtigsten Verkehrs­knotenpunkte gebracht hatte. Die letzten Jahre haben hier eine völlige Neuorien­tierung der archaologischen Forschung gebracht. Hier seien vor allem die zahlreichen verdienstvollen Materi­alstudien Éva Garams, eine brillante Studie Csanád Bálints iiber die awarische Landnahme, 62 einige wich­tige Beitrâge Tivadar Vidas zu den germanischen Tra­ditionen wâhrend der Frühawarenzeit 63 und - zuletzt ­Róbert Müllers Fund von 1998 in Keszthely - Fenék­puszta und die entsprechende Auswertung genannt. 64 Die Frühawarenzeit I stellt sich nun als eine auBeror­dentlich lebendige und vielfaltige Période dar, in der vielfaltige lokale Traditionen bliihten, zugewanderte Bevölkerungsgruppen neben den östlichen Reiterhirten existieren konnten. Die Zeit der gröBten Machtentfal­tung des Awarenreiches scheint eine Pax Avarica bedeutet zu haben, einen Schirm, unter dem vielfaltige Aktivitâten möglich waren. Hier waren verschiedene Lebensmodelle nebeneinander realisierbar und - wie wir jetzt sehen - konnte sich hier offenbar auch eine gröBere christliche Gemeinde weiterentwickeln. Ihr Lebensnerv waren die Verbindungen nach Italien und in den östlichen Mittelmeerraum, die offenbar gehalten und von Pilgern genutzt werden konnten. DaB die Keszthely-Kultur gerade am Westende des Plattensees entstehen konnte, hangt wohl mit den vita­len spâtromischen Traditionen und Strukturen zusam­men, die in Fenékpuszta zu fassen sind. 65 Zahlreiche Funde der friihen Keszthely-Kultur des 6. und begin­nenden 7. Jahrhunderts gehören jedoch dem östlich merowingischen Reihengrâberkreis an (Langobarden, Bajuwaren, Alamannen) und werden ergunzt durch aus­sagekrâftiges Material aus dem frankischen und sâchsi­schen Gebiet. Die Position von Keszthely am Schnitt­punkt der beiden FernstraBen Aquileia -Aquincum und Sirmium - Carnuntum spielt dabei sicher eine wesent­liche Rolle. Die militârischen Erfolge der Awaren, der verschiedensten Gefolgschaften im Awarenreich gegen Byzanz brachten Reichtum, der auch den Handlern zugute kam. Wir können uns schon aus diesem Grund die FernstraBen als belebte und - unter einer starken Herrschaft - wohl sogar sichere Verkehrsadern vorstel­len. Als die reichsten Graber der friihen Keszthely-Kul­tur angelegt worden sind, gab es in Keszthely keine Bevölkerung mit östlichen Traditionen. Keszthely lag wâhrend der Zeit der awarischen Erfolge gegen das Byzantinische Reich am Rand des awarischen Sied­lungsgebiets. Erst wesentlich spater, wohl im 2. Viertel des 7. Jahrhunderts, kommt mitten im Verbeitungsge­biet der Keszthely-Kultur eine im engeren Sinn awari­sche Bevölkerungsgruppe hinzu. In Gyenesdiás, mitten im Gebiet der Keszthely-Kultur, konnte Róbert Millier ein typisches awarisches Graberfeld freilegen. 66 Die archaologischen Funde spiegeln die kulturellen Verhaltnisse des Raumes um Keszthely, sie sagen nicht notwendigerweise etwas iiber die Machtverteilung und die politischen Situation aus. Solange die awarische Oberherrschaft Erfolg und Reichtum flir die Mitstrei­tenden brachte, gab es keinen Grand, Gegenmodelle zu bilden. Anders stellte sich die Situation dar, als der awa­rische „Motor" um 626 zu stottern begann. Der Macht­verlust der Fiihrung im Awarenreich, der seinen Höhe­punkt bei der Niederlage vor Konstantinopel fand, führ­te zu Absatzbewegungen und inneren Kampfen um die Vormacht. 67 Die archaologischen Funde zeigen den ProzeB der zunehmenden Isolation des Karpatenbeckens als Folge der neuen Machtverhaltnisse ganz deutlich: Die vielfal­tigen Kulturgruppen der goldenen Jahre wirken noch einige Zeit nach, doch setzt langsam eine Vereinheitli­chung der awarischen Kultur ein. Romanische, hunni­sche, germanische Gegenstande, Formen und Motive verschwinden, leben allenfalls im recht einheitlichen mittelawarischen Kulturschatz weiter. Dabei ist wohl nicht an eine bewuBte Identitatsstiftung der wieder fest im Sattel sitzenden Herrscher zu denken. Viel eher diirfte hier zum Tragen gekommen sein, daB man im Karpatenbecken auf sich selbst zuriickgeworfen war. Neue Einflüsse von auBen kamen sparlich, nur phasen­weise etwas dichter. 68 Die Prachtgraber der spâten Frü­hawarenzeit vom Тур Bócsa-Kunbábony sind das archaologische Indiz fur die sich wieder festigende awarische Macht, der erneute Zustrom reprasentativer byzantinischer Funde und das erneute Auftreten der awarischen Diplomaten am byzantinischen Hof am Ende des 7. Jahrhunderts zeigt, daB man nun auch über die Grenzen hinweg wieder eine kleine Rolle spielt. 69 An ihre friiheren Erfolge konnten die Awaren freilich nicht anknüpfen. Die Bevölkerung der Mittel- und Spatawarenzeit lebte von der Landwirtschaft, der Han­del dürfte nur eine geringe Rolle gespielt haben und von Bestrebungen, die Kriegsmaschine wieder anzu­werfen, ist nichts bekannt. Zwar folgte die awarische

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