A Debreceni Déri Múzeum Évkönyve 1989-1990 (Debrecen, 1992)
Néprajz - Takács Béla: „Volkserziehung” auf der Hortobágy während des 18. Jahrhunderts
Béla Takács „VOLKSERZIEHUNG" AUF DER HORTOBÁGY WÄHREND DES 18. JAHRHUNDERTS In der vorliegenden Studie werden zwei Bücher vorgestellt, deren Inhalt und Ziel recht eigentümlich sind. Beide Werke gehören nicht in die Belletristik, sondern tragen populärwissenschaftlichen Charakter. Das erste Buch stammt von dem Jesuiten János Molnár, der als Religionslehrer tätig war. Er trägt den Titel „Der Hirt oder zwei Bücher über die Lehre der Hirten". Dieses Buch erschien 1775 in Pozsony (Pressburg). Das andere Werk stammt von dem reformiert gläubigen Hauptrichter György Jeney und erschien 1791 in Pest. Es trägt den Titel „Buch der Natur. Der Hortobágyer Hirt und der Naturkundler". Was mag die beiden Autoren wohl dazu veranlasst haben, sich einer Aufgabe zu widmen, die ihrem Beruf so weit entfernt lag, sich mit dem Unterricht und der moralischen Erziehung von Hirten, um einen Begriff aus der Jetztzeit zu gebrauchen, sich mit der Volksbildung zu befassen? Die Antwort hierauf ist im literarischen Geschmack jener Zeit, im Sentimentalismus zu finden. Diese Richtung fand von Deutschland ausgehend über Wien ihren Weg nach Ungarn, vor allem über die Werke von S. Gessner. Interessant ist die Tatsache, dass der Sentimentalismus weitaus eher auf die beiden Autoren wirkte als auf ungarische Dichter und Schriftsteller. János Molnár lobt hier das Hirtenleben in hohen Tönen, sind doch viele bekannte Gestalten aus der Bibel auch einst Hirten gewesen. Er lehrt die Hirten, was ihre Pflicht gegen Gott und ihre Herren ist, und an dieser Stelle spricht er von Treue und Gehorsam. Er lehrt die Hirten das Beten, doch ausserdem vermittelt er ihnen auch naturkundliches Wissen, soweit sie des Lesens und Schreibens kundig sind. War dies nicht der Fall, so machte er den Vorschlag, dass der Herr oder seine Frau den Analphabeten unter den Hirten das Buch vorlesen. In den naturkundlichen Beschreibungen berichtet János Molnár von wilden und zahmen Tieren und vom Sonnensystem, immer in einer recht primitiven Weise. So heisst es in diesen Lehren beispielsweise, dass auch auf dem Mond Menschen leben, und dass der Blitz kein Stück Stein, sondern „Dampf-Staub" sei. Es ist anzunehmen, dass György Jeney sein populärwissenschaftlich ausgerichtetes Buch in Wirkung auf das Werk von János Molnár hin schrieb, doch er bestimmte es nur für die Hirten auf der Hortobágy, der grössten Steppenlandschaft seiner Heimat Ungarn. Er beruft sich dabei auf die deutschen Autoren Pitter und Michaelis, die mit ähnlicher Zielsetzung populärwissenschaftliche Werke über historische und biblische Themen verfassten. György Jeney gibt seine Lehren in Dialogform wider, d. n., die Hirten stellen kurze Fragen, auf welche der Naturkundler ausführlich antwortet. Er teilt den Unterricht für sechs Tage ein und spricht im Verlaufe dessen von den Himmelskörpern, von der Naturkunde der Erde, der Tiere und der Pflanzen und berührt stets und ständig moralische Fragen, wie z. B. Gehorsam, Liebe und Ehrhaftigkeit. Auf Fragen zum Glauben und zur Religion antwortet der Wissenschaftler ebenfalls, dies aber in realistischer Weise. Vor den Mahlzeiten betet der Naturkundler gemeinsam mit den Hirten, doch eines abends verläuft dieses Gebet in bemerkenswerter Weise: Der Wissenschaftler heisst die Hirten niederzuknien, obwohl dies bei den Reformierten nicht Brauch ist, und der Autor war ja reformiert gläubig, dann betet er in hohen Tönen die untergehende Sonne an! Nach Aussage des Ungarischen Volkskundelexikons ist die Ethnographie auf keinerlei verlässliche Spuren des Vorhandenseins des Sonnenkults während des 18./19. Jahrhunderts in den europäischen Volksbräuchen gestossen. Das Buch von György Jeney hingegen zeigt, dass dieser Kult 1791 lebendig war, wenn auch nicht in Hirtenkreisen, doch in Wirkung des Rationalismus tauchte er in Intelligenzlerkreisen auf. Im weiteren ist auch die Rede von bösen Geistern, Gespenstern und wiederkehrenden Seelen, doch an ihre Existenz glauben weder die Hirten noch der Wissenschaftler. So behauptet der eine Schweinehirt, er habe über dem Morast einen Alb erblickt. Doch der Wissenschaftler belehrt ihn, dass diese Lichterscheinungen von Gasen stammen, die sich über dem Morast entzündet 407