Gunda Béla et al. (szerk.): Ideen, Objekte und Lebensformen. Gedenkschrift für Zsigmond Bátky - István Király Múzeum közelményei. A. sorozat 29. (Székesfehérvár, 1989)

Eszter Kisbán: Aufhahme des Zuckers in die bäuerliche Nahrungskultur in Ungarn

Sowohl in zeitgenössischen primären Quellen aus den Jahren 1890—1910 als auch in Erinnerungen und Rekonst­ruktionen aus späteren Zeiten ist der aus Hirse oder Reis zubereitete Milchbrei als eine landesübliche Speise des Hochzeitsmahles bekannt, die gegen Ende oder gar am Ende des Schmauses mit Zucker oder mit Zimt und Zucker bestreut aufgetischt wird. Wollen wir aber den Werdegang des mit Zucker bestreuten Milchbreies zurückverfolgen, so fehlt uns ein primäres Quellengut von entsprechender Ausführlichkeit und wir müssen uns mit sekundären Quellen abfmden. Über die Speisenfolge des bäuerlichen Hochzeitsmahles gibt es Berichte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, die aber über fast hundert Jahre hauptsächlich in den sog. Brautführerbüchern (ung. vőfélykönyv) enthalten sind. Dazu muß man wissen, daß bei der Bauernhochzeiten in Ungarn der Brautführer die Funktion eines Zeremonie­meisters erfüllt, der den gesamten profanen Ritus lenkt und die einzelnen Handlungen in Versform ankündigt. Bei der Hauptmahlzeit konferiert er unbedingt jedes einzelne Gericht, während es serviert wird. Meistens ist der Braut­führer nicht der Autor, sondern nur der Vortragende dieser Verse, die gewöhnlich von Lehrern, Studenten, Geistlichen und anderen schreibkundigen Personen, seltener auch von solchen Bauern verfaßt werden, die schon öfters als Braut­führer fungierten. Die die gesamte Handlungsreihe der Hochzeit umfassende Versserie wird Brautführerbuch ge­nannt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden derartige Brautführerbücher regelmäßig gedruckt und als Gro­schenhefte kolportiert. Allerdings besaßen nur verhältnis­mäßig wenige Brautführer solche Druckwerke, die meisten kopierten und kompilierten sie und benützten solche hand­geschriebenen „Ritualbücher“. Manche der letzteren un­terschieden sich aber dennoch zum Teil oder gänzlich von allen gedruckten Varianten. Bislang wurden die Brautführer­bücher zur Untersuchung der Geschichte von Festspeisen nicht benutzt, wiewohl sie nicht selten Quellenlücken aus­füllen können. Die in den Brautführerbüchern angeführten, regional unterschiedlichen langen Speisenfolgen, ja, auch die darin vorkommenden Neuerungen, wie etwa der Kaffee, werden von den primären Quellen bestätigt (Kisbán 1987a; Kisbán 1987b). Unter Beachtung ihrer gattungsbedingten Eigenarten sind also die Brautführerbücher im Quellen­material sehr wohl als Lückenbüßer zu gebrauchen. Von den zwischen 1792 und 1914 in erster Ausgabe gedruckten Brautführerbüchern sind z. Zt. 26 zugänglich; diese werden nachfolgend analysiert. Zwecks Kontrolle wurden auch handgeschriebene Brautführerbücher unter­sucht, davon werden hier nur 8 aus den Jahren 1826—1899 angeführt, in denen von Zucker die Rede ist. Eine Biblio­graphie der benutzten gedruckten und handgeschriebenen Brautführerbücher ist unter Vőfélykönyvek bei (Kisbán 1987c) zu finden. In 14 der 26 gedruckten Brautführerbücher ist die Ser­­vierung von Milchbrei, in 8 die eines Breies mit Fleisch vorgesehen; in 2 ist nur ein Vers zum „Breigeld-Sammeln“ enthalten und in 2 anderen kommt überhaupt kein Brei vor. (Das Sammeln von Breigeld ist in Ungarn ein tradi­tioneller Hochzeitsbrauch: eine Gabe der Gäste für die Köchinnen.) In 8 der 14 Ankündigungen des Milchbreies wird im Vers betont, daß den Gästen nun ein gezuckerter oder mit Zucker bestreuter Brei angeboten wird. Vier dieser Texte sind neu, die anderen sind Entlehnungen. Die neuen Texte sind 1793 in Vác sowie 1852, 1867 und 1895 erschienen. Ihre zeitliche Verteilung scheint anzudeuten, daß der Zucker nur in der Frühphase als wirklich erwäh­nenswert galt, als sich —jedenfalls bei den Bauern — noch um eine Rarität handelte. Das Brautführerbuch aus dem Jahre 1793 ist anonym, die Verfasser der drei anderen sind bekannt. Alle haben ihre Brautführerbücher für ihre eigene Gegend, in Kenntnis des regional üblichen Hochzeits­schmauses geschrieben. Von den Texten über den gezuckerten Brei erfreute sich besonders der früheste (1793 Vác) großer Beliebtheit. Von seiner Verlagsgeschichte wissen wir, daß das komplette Buch am selben Ort, in der zentral gelegenen Bischofs- und Messestadt Vác, um 1800 noch öfters herausgegeben wurde und in Pest sogar noch im Jahre 1845 erschienen ist. Der in diesem Brautführerbuch enthaltene Text über den ge­zuckerten Brei war im 19. und im frühen 20. Jahrhundert fast im gesamten ungarischen Sprachgebiet bis zum heuti­gen Burgenland in Gebrauch (Gaál 1978, 3). Überraschen­derweise haben nur zwei der neuen gedruckten Brautfüh­rerbücher diesen Text übernommen, der jedoch in 5 der 8 untersuchten handgeschriebenen Sammlungen enthalten ist. Es trägt zur Authentizität sowohl der gedruckten wie auch der handgeschriebenen Brautführerbücher bei, daß der aus 1793 stammende Vers mit der Veränderung von 1—2 Wörtern den örtlichen Verhältnissen des öfteren angepaßt wurde — im Burgenland, in der Oberen Wart, mußte sogar der Brei mit Sterz ersetzt werden (1900/14) —, der Zucker aber stets erhalten blieb; den ungarischen Text aus dem Bur­genland habe ich von Károly Gaál, aus seiner unver­öffentlichten Sammlung erhalten. Im Unterschied zum gezuckerten Brei kommt der mit Honig zubereitete Brei in den Brautführerbüchern kaum vor. In einer handgeschriebenen Sammlung 1890 wurde im vorangehend erwähnten Vers (1793 Vác) neben dem Zucker auch Honig angeführt, in Anbetracht der realen Situation bei der einen oder der anderen Hochzeit. Das früheste der bekannten handgeschriebenen Brautführerbücher (1826) kündigt eine Speise unter dem Namen „Mézes“ (mit Ho­nig) an, doch steht dazu im Vers nur soviel, daß es sich um eine mit Honig zubereitete Süßigkeit handelt. Gerade dadurch, daß sie als Süßigkeit gepriesen wird, ist es un­wahrscheinlich, daß diese Speise ein süßes Fleischgericht sein könnte, obwohl solche als Hinterlassenschaft der früh­neuzeitlichen Küche um diese Zeit bei den Bauern noch vorkamen (Filep 1971, 130). Für die verschiedenen Brei­gerichte enthält dieses Brautführerbuch ein breitgefächertes Angebot an Versen : einen für den fetten, gepfefferten Brei, einen anderen für den Reisbrei mit Fleisch, und höchst­wahrscheinlich dürfte die als „Mézes“ bezeichnete Speise ein mit Honig zubereiteter Milchbrei gewesen sein. Der mit Honig zubereitete Brei blieb bis 1900/10 als Alternative zum gezuckerten Brei eine übliche Hochzeitsspeise (Bálint 1977—1979, II. 177, III. 93), wurde aber in Brautführer­­versen kaum genannt, da man ihn nicht für erwähnenswert hielt. Im Unterschied zur starken Glaubensbindung des Honigs beim Weihnachtsmahl war der Honig im Hochzeits­brei nicht glaubensgebunden, sondern einfach nur ein Süßstoff, frei ersetzbar mit dem höher geschätzten Zucker. Laut Zeugnis der Brautführerbücher war im verlängerten 19, Jahrhundert (1792—1914) bei der Bauernhochzeit der 283

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