Gunda Béla et al. (szerk.): Ideen, Objekte und Lebensformen. Gedenkschrift für Zsigmond Bátky - István Király Múzeum közelményei. A. sorozat 29. (Székesfehérvár, 1989)

Tamás Hoffmann: Karre, Wagen, Kutsche

lieh, daß durch die Veränderungen an der Konstruktion der Wagen, die Erhöhung der Zahl der Eisenbestandteile, größere Lasten transportiert werden konnten. Das konnte am einfachsten durch die Vergrößerung der Ladefläche erreicht werden. In den Texten der süddeutschen „Weis­­tümer“ wurde die Länge der bei der Ernte gebrauchten Wagen mit 4—5 m angegeben.!14) Eine weitere Neuerung führte dazu, daß die Kostruktion des Wagenkastens durch ein Fuhrwerk auf zwei Achsen ersetzt wurde. Die zwei Achsen waren mit einer Stange verbunden. Die erste Achse eines solchen Fuhrwerkes war drehbar, es ging bei Drehung nicht rückwärts hinaus und kippte nicht so leicht um wie ein Fuhrwerk mit fester Achse. Obwohl die Darstellung eines solchen Fuhrwerkes erst aus dem 15. Jahrhundert bekannt ist, mußte die Er­findung selbst älter sein. Der Wagen mit drehbarer Achse und mit Bolzen wurde eines der wichtigsten Fuhrwerke des Warentransports auf dem Festland vom 11. bis zum 15. Jahrhundert. Industrieartikel, Metalle, Textilien, Leder und der Wein von Süden gelangte auf solchen Wagen nach Norden. Es wurden auch Waren in entgegengesetzter Richtung transportiert. Der Seeverkehr wurde durch den Kontinentaltransport ergänzt. Die Waren wurden auf Rä­dern befördert und nicht mit Karawanen, mit denen der Güterverkehr zwischen den großen Zivilisationen von Eurasien bereits seit Jahrtausenden abgewickelt wurde, nicht mit Packeseln und Maultieren, auf deren Inanspruch­nahme die Händler von Mitteleuropa gerade wegen der Vorteile der Wagen verzichteten. Der Wein von Gascone oder von der Provence gelangte in Fässern nach Nordwest- Europa. In den Matrosenschenken von Bristol, London, Amsterdam und Antwerpen wurden jede Menge gesoffen. Das Wasser war meistens ungenießbar, darum mußte man auch Bier brauen; der Wein wurde gepanscht. Dies erwies sich als eine gewinnbringende Unternehmung. Aber nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den kleineren Städten, weit ab vom Meer, gehörten die Lieferungen von Weinfässern unausbleiblich zu den in den Zollstationen im 13./14. Jahrhundert geführten Registern. Auf dem Konti­nent zählte man Calais, Gravelines, Bruges zu den wich­tigsten Transithäfen. Die Tonne, also das Faß als Hohlmaß, erschien zu dieser Zeit in den Tarifen. Das standardisierte Maß der Fässer wurde durch den sich belebenden Handel, durch das Fassungsvermögen der Wagen und durch die optimale Lieferbarkeit festgelegt ,(15) Die staubiges Wege haben die Reisewagen auf eine harte Probe gestellt. Wie Landschaftsdarstellungen des 16./17. Jahrhunderts zeigen, bekamen sie nicht einmal in urbani­­sierten Gegenden wie Flandern oder Brabant einen festen Steinbelag. Es fehlte dagegen nicht an Löchern und Schlamm in Herbst und Frühling. Man hat in der Regel drei Pferde eingespannt, zwei davon hinten und eines vorne. Etwa 10 Menschen drängten sich im Wagenkasten zu­sammen, der mit einer Plane bedeckt war. Aber der Ver­kehr wurde regelmäßig. Die Straßen in den Städten wurden zu dieser Zeit bereits gepflastert (vielleicht schon vom 13. Jahrhundert). Dessen ungeachtet hat das Straßennetz (falls es überhaupt so bezeichnet werden konnte?) nirgendwo einen so großen Verkehr abgewickelt, haben die Fahrzeuge nirgendwo so große Lasten transportiert wie das Meer und die Flotte. Aber die Reisewagen haben, obwohl Pfüt­zen und Dreck die Reise zu einer Strapaze werden ließen, eine Verbindung geschaffen. Sie sicherten den regelmäßigen Verkehr, der lange vor der technischen Revolution zur Beförderung von Briefen, Frachtsendungen und Personen führte. Aus Südeuropa konnte man bereits im 18. Jahr­hundert auf den regelmäßigen Kursfahrten durch die Al­penpässe zum Ufer des Kanals oder von einer Stadt am Atlantischen Ozean bis zur Elbe gelangen. Das hat tech­nisch der Wagen ermöglicht. Der Reisewagen entwickelte sich aus dem schnellen, be­reits zum Drehen geeigneten Wagen mit zwei Achsen und Deichsel. Der Unterschied liegt darin, daß der Wagen­schrank aufgehängt wird. Die Aufhängung und die Ver­bindung mit der Eisenachse wird durch ein Stück Holz, durch die Wagenleiste und nicht durch einen Riemen wie früher hergestellt. Dadurch, daß der Wagenschrank auf­gehängt ist und die Last nicht auf den Achsen liegt, kann die erste Achse gedreht werden. Der Wagen wird mit dem Wagenschwengel gezogen, das hintere Paar Räder wird vergrößert, um eine vorteilhaftere Drehzahl zu erreichen. Die verschiedenen Kombinationen dieser technischen Än­derungen charakterisieren den Wagen, der für die Umwand­lung der kontinentalen Personenbeförderung in West- und Mitteleuropa am Ende des Mittelalters neue Bedingungen schuf und auch die Entwicklung des Gütertransports beschleunigte. Die Aufhängung des Wagenschrankes war wahrscheinlich die wichtigste Erneuerung. Die ersten Ver­suche stammen vermutlich von den Thrakern. Wahrschein­lich übernahmen die Römer die Idee des auf Lederriemen hängenden Kastens, die Urform des Wagenschrankes, von ihnen. Man begann, diese Idee auch für die Personenbe­förderung (also nicht nur bei den Bestattungen) zu nutzen. Teils unabhängig von den Römern, teils durch sie, gelang­ten die technischen Neuerungen des auf gehängten Schran­kes nach Mitteleuropa. Jedenfalls war es in den von Kelten besiedelten Regionen keine Rarität. Es ist möglich, daß man die Kontinuität nur wegen der fehlenden Quellen schwer beweisen kann, aber es ist durchaus möglich, daß man die Erfindungen wegen der fehlenden Bedürfnisse einfach vergessen hatte. Man mußte sie dann im Mittelalter nochmals entdecken. Vielleicht gehörte zu diesen neuen Entdeckungen der Reisewagen, der auf einer englischen Miniatur aus dem 11. Jahrhundert zu sehen ist und mit aufgehängtem Schrank gebaut wurde (wie die Exemplare des Altertums und die aus prähistorischen Zeiten). Hier fehlt aber die sich drehende Vorderachse mit Deichsel. Aber an der Bronzetür der Kirche in Novgorod (die ver­mutlich eine deutsche Arbeit ist), auf einem Relief sowie auf einem Silberkelch aus der zweiten Hälfte des 12. Jahr­hunderts, der in Trzesmeszno (Polen) aufbewahrt wird, sind Wagen mit drehbarer Vorderachse zu sehen. Bei den Ausgrabungen in Gdansk fand man in der Schicht vom 12. Jahrhundert auch ein Kummet (außer Hals- und Horn­joch). In den prähistorischen Zeiten und im Altertum benutzte man den an Lederriemen hängenden Schrank zum Trans­port der Toten. Die Römer betrachteten ihn bereits als einen Reisewagen. Das Mittelalter löste endlich — mit Hilfe der drehbaren Achse — auch das Problem des Gütertrans­(14) Grimm 18994, IV, 161, 394. (15) Dion 1959, 231. ff; James 1971, 71, 110—11; Oschensky 1971, 319. 224

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