Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)

ich mir nie wieder zu stehlen, aber der Hunger ist ein großer Herr! Morgens schlüpften wir hervor, es war noch nicht hell geworden, und wir holten alles was wir konnten. Später brauchten sie Jugendliche für den Kartoffelkeller, wir waren gerade zu sechst. Der Mensch war großzügig, während wir seine Kartoffeln sortierten, ließ er seine Frau einige für uns kochen und legte sogar noch Eingelegtes dazu. Aber dort mussten wie daran denken, dass die anderen im Lager hungern müssen, und auf das Essen, welches wir mitbringen sollten, warten. So stopften wir unsere Jackentaschen mit Kartoffeln voll, und als wir auf dem Rückweg dann über ein Rinnsal springen mussten, sind einige Kartoffeln herausgefallen, woraufhin das eine schwäbische Mädchen sich bückte um sie auf zu heben. Dem Landwirt entging das nicht und fing an hinter uns her zu schreien. Meine Freunde fingen an zu laufen, aber ich riet sie davon ab, wir mussten zurückgehen. Der Landwirt fing uns dort schüttelte mich und trat mir auch noch in mein Hinterteil. Wir dachten dass wir nie wieder zu ihm gehen dürften, und doch nahm er uns wieder, aber er berichtete dem Offizier über das Geschehene. Dieser ließ uns dann zu ihm kommen und sagte:" Ich weiß, dass das was ihr zu essen bekommt zu wenig ist, aber wenn ihr stehlt, dann tut es klug." Die dortigen Menschen verfügten auch über Menschlichkeit. Eines Tages bekam meine gute Freundin, die mir wie meine leibliche Schwester war, Fieber. Als wir von der Arbeit zurückkamen, haben sie sie bereits fortgeschafft. Zehn Tage später schrieb uns eine unserer Schicksalsgenossen ein kleines Papier auf dem stand: Ilonka ist gestorben, wir haben sie begraben, aber wie, das sollt ihr lieber nicht wissen, es ist besser wenn du es nicht weißt. Wir kamen nach Märamaros, und die Glocken läuteten, es gab keine Augen, die nicht weinten. Sie setzten uns in Debrecen unter Militärmusik ab, die Grundschüler sangen uns die Nationalhymne. Schwestern des Roten Kreuzes drückten uns Essensmarken in die Hand und wir bakamen endlich wieder ungarisches Essen. Danach mussten wir uns vor ein Bürogebäude aufreihen, dort wurden wir noch einmal untersucht und verhört. Wir erhielten den Befreiungsbrief, fünf Forint und ein Päckchen Zucker, die Männer bekamen Zigaretten anstelle von Zucker, und hiermit waren wir ausgezahlt. Tante Annuschs Vater, Franz Trickl (2. von rechts in der hintersten Reihe) mit seinen Kameraden 1942 in Pécsvárad vor der Abfahrt an die Front. Im Oktober 1942 wurde er in die 2. ungarische Armee einberufen und im November an die Front befohlen. Seine letzte Karte aus der Kriegsgefangenschaft erreichte die Familie im Januar 1943. Anna Trickl (Tannte Annusch) mit 17 Jahren im Festtagsgewand noch vor dem "Höllenmarsch".

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