Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)

Am 27. Juli, einem Sonntagmorgen kam ich in Pécsvárad am Bahnhof an. Meine teuerste Mutter erwartete mich, sie suchte mich, aber erkannte mich nicht. Kein Wunder, damals wog ich 38 Kilo. Wir fielen einander weinend um die Schultern, sie war es die zuerst ein Wort herausbringen konnte, uns sie sagte, mein liebes Mädchen, von deinem Vater haben wir immer noch keine Nachricht, wir haben kein Zuhause mehr, aber deine Kleider, die haben wir noch, deine Großmutter hat sie auf ihrem Kopf zu Fuß bis nach Pécsvárad getragen, zweimal ist sie dafür einen Tag gelaufen. Während meiner Abwesenheit im Herbst 1945 gab der Richter von Szellő meiner Mutter bescheid, sie solle retten was sie kann, da am nächsten Tag die Schwaben in die Wemender Heide umgesiedelt werden. In dieser Nacht brachten sie zu zweit, alles rüber in die Nachbarschaft: Betten, Bettwäsche und Kleidung. Dort wohnten Ungarn, die Familie meiner guten Freundin, die Familie Végh. Die waren herzensgute Menschen und haben uns alles bewahrt und später zurückgegeben. Meine Mutter und meine Großmutter sind dann zu ihren Cousins nach Pécsvárad geflohen. Mir tat das Herz weh um Szellő, ich starb und lebte für dieses Dorf: " ich bleibe nicht in Pécsvárad, ich werde kein "Sturzrock" tragen, ich will meinen weiten Rock haben!" schrie ich als mir klar wurde, dass wir nie wieder zurück nach Szellő gehen werden. Meine Mutter sagte damals, was ich denn in Szellő wollte, dort ist keiner mehr den wir kennen, sie haben in unsere Häuser lauter Fremde getan. Ich konnte diese Sachen sehr schwer akzeptieren. Die Theatergruppe des Dorfes 1940 vor dem Kulturhaus. Der in der Mitte sitzende Mann führte die Regie des Theaterstückes. Tante Annusch ist in weißer Schürze zu sehen. Das andere Mädchen in der Mitte ist ihre Freundin Ilona Petzinger, die im Arbeitslager in Russland an Kopftyphus verstorben ist. Über sie sagte man, "es sei besser man erführe nicht wie man sie begraben hat."An dem linken Rand des Bildes kann man den damaligen Bräutigam der Ilonka sehen, der seme Geliebte nie wieder zu Gesicht bekam. Vor dem Kirchgang in Festtagstracht. Das Bild entstand auf dem Hof der Tante Annusch, damals war sie dreizehn Jahre alt. In Szellő entstand dieses Bild vor dem Haus der Tante Annusch am Tage ihrer Erstkommunion. Sie war acht Jahre alt. Annusch ist die zweite von links, neben ihr am Rand ihre Freundin und später sehr hilfsbereite Seele Maria Végh.

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