Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)

Dann dauerte die Reise nach Grosnij einen Monat, bereits in den Waggons starben viele. Unter ihnen auch der Vater meines zukünftigen Schwiegersohnes, über den man erzählt, er sei noch bei der Hinreise an Magentyphus gestorben. Mein Schwiegersohn war damals gerade zwei Jahre alt. Wir kamen abends an, die Russen leuchteten uns mit Kerzen. Uns brachte man in einem Haus unter, das sich auf einem Hügel befand, es war schrecklich und kalt. Es gab weder Fenster noch Türen noch ein WC in dem Gebäude, die bauten sie später erst ein. Nur vier Wände. Wir wurden wieder gezählt, Vierzig Menschen in einen Raum. Unten die Männer, in den oberen Etagen waren die Fauen einquartiert. Später stellten sie uns einen Ofen in die Räume. Morgens um sechs Uhr mussten wir gehen um unsere Tagesration an Essen zu holen. Ein kleines Stück Schwarzbrot von etwa 600 Gramm und jeder einen Liter Suppe morgens und abends und manchmal noch ein wenig Kohl. Das mussten wir uns dann einteilen. Ich habe mein Brot oft bereits als ich die Treppe hinaufstieg gegessen. Ich war so schwach, dass ich manchmal nur mit Mühe die Treppe raufsteigen konnte. Wir gingen in das nahegelegene Dorf zum Betteln sonst hätte ich es vielleicht nicht ausgehalten. Die Menschen hätten uns ja auch etwas gegeben, aber sie hatten ja selber nichts. Manchmal bekamen wir dann doch Kartoffeln und Brot von ihnen. Nach gut einem Jahr in 1946 brachte man die Kräftigeren, darunter auch mich weiter in Richtung des Ural. Die ersten Tage nach unserer Ankunft schliefen wir in Zelten, die vielleicht noch die Deutschen dort gelassen haben. Im Mai war es glücklicherweise nicht mehr so kalt. Erst mussten wir Baracken bauen. In diesen wohnten wir später. Danach wurde ich selber auch ins Sägewerk zur Arbeit gerufen. Wir verluden die Holzbalken auf Karren und schoben sie mit ihnen unter die Säge. Eines Abends gingen wir Kartoffeln stehlen, aber wir fielen alle drei in eine Grube und mussten dort die ganze Nacht im strömendem Regen verbringen. Am Morgen schafften wir es schließlich mit der Räuberleiter heraus zu steigen. Unsere Aufseherin im Lager war eine gute Frau, wir gaben ihr ein paar Kartoffeln. Ein andermal entschieden wir uns eine Ziege des Bauerns zu klauen. Ich verbarg ein Messer und uns gelang es Gruppenbild aus dem Lager in Grosnij. In der hinteren Reihe russische Männer, die mit den Frauen zusammen arbeiteten. Die Frauen verrichteten die gleiche physische Schwerstarbeit wie die Männer: in der Miene, an den Erdölleitungen, im Kanalbau, im Sägewerk und in der Ziegelfabrik. Die sitzende Frau in der Mitte und die Männer neben ihr sind die Aufseher. Tante Resi steht links im gestreiftem Gewand. Für das Foto schön herausgeputzt, aber die Blicke verraten alles. Tante Resi sitzt links in der ersten Reihe. Das Foto entstand im März 1947 in Grosnij.

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