Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)
gebracht werden. Aber ich wusste nicht wohin wir gebracht werden. Die Ansässigen waren auch sehr arm. Das Wasser war ölig in dieser Gegend, im Winter schmolzen wir den Schnee und tranken das . Häufig hatte ich auch Malaria. Sonntags mussten wir nicht arbeiten. Unsere Arbeit war es dann uns gegenseitig zu entlausen, weil waschen konnten wir uns nicht wirklich. Wir flickten unsere Kleider, unterhielten uns und beteten. Viele Männer verkauften ihr Brot, um dafür nicht nur Tabak sondern auch aus der Sonnenblume gewonnenes benebelndes Öl zu kaufen. Sie wurden ganz verrückt davon, viele von ihnen starben. Dann kam jeden Tag ein Laswagen und fuhr die Toden fort. Im Winter konnten sie auch keine Gräber graben, sie wurden einfach verscharrt. Als wir im Andrewskij Lager waren, hat eine unserer Kameradinnen ein Kind zur Welt gebracht, der Vater war ein Ungar aus unserem Lager. Dann kam ein russisches Ehepaar, die gehört hatten, es sei ein Kind dort geboren worden und wollten das Kind mitnehmen. Sie sagten, die Mutter könne jeden Tag vorbeikommen, und sehen wie es dem Kind geht, sie gaben ihr die Adresse. Aber das Lager durfte ja keiner verlassen. So brachten sie das Kleinkind nach einigen Monaten selber ins Lager zurück, sie sah aus wie eine Prinzessin, im Kinderwagen, wohlgenährt brachten sie sie zu uns. Bei uns bekam das arme Kind nichts anderes als nur Tee. Tante Marisch: In Pécsvárad mussten wir uns in zwei Reihen aufstellen, sie trennten Gesunde von Kranken, dann mussten wir in Gruppen zu Fuß nach Pécs laufen, in die Lakics Kaserne, voll mit Pferdefekalien. Dort mussten wir 14 Tage lang warten, bevor sie uns in Wagons packten und jeden noch einmal untersuchten. Ich war gesund und wohlgenährt, so sagten sie mir das ich offensichtlich in anderen Umständen bin und schickten mich nach Hause. Ich wehrte mich, dass dies nicht stimme, aber sie drängten mich, ich solle ruhig nach Hause gehen. Ich ging nicht. Heute weiß ich natürlich, dass ich diese Chance des Schicksals besser hätte annehmen sollen. Sie arbeiteten auch in einer Glasfabrik, manchmal bekamen sie die fehlerhaften Gläser und durften sie auf dem Markt verkaufen. Tante Resi ist die erste von links, sie trägt einen selbsgenähten Rock, ursprünglich eine Plusterhose. Das Foto zeigt u.a. Tante Resi im Mai 1948. Unter den verschleppten Männern und Frauen entstanden oft Freundschaften und Liebesbeziehungen. Es gab zum Beispiel einen Fall, dass eine junge Leidesgefährtin ein Kind von einem ebenfalls verschleppten Dolmetscher erwartete. Er sagte ihr er käme zurück und wollte sie heiraten, aber die Frau wartete nicht länger und heiratete einen anderen. Der Mann aber ermordete die unglückliche Frau auf brutale Weise, schnitt ihre Halsadern durch, und legte die damals ein bis zwei Jahre alte Tochter neben sie. Auf das Weinen dieses Kindes kamen schließlich die Nachbarn herüber, aber es war schon zu spät, die Frau war schon verblutet. Das kleine Mädchen wurde von der Schwester ihrer Mutter aufgezogen. Das Mädchen wurde später Lehrerin und hat zwei Söhne.