Győry, Tiberius von dr.: Semmelweis' gesammelte Werke (Jena, 1905)
Vorwort
Vorwort. Die Herausgabe der gesammelten Werke von Ignaz Philipp Semmelweis bedarf wohl keiner näheren Motivirung. Seine grundlegende grosse Arbeit: „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“ ist eines der seltensten, schwer erhältlichsten Bücher geworden, und eine Reihe seiner Abhandlungen war bis heute der Allgemeinheit überhaupt unzugänglich, und nur in dem Lande bekannt, dessen treuer Sohn Semmelweis war und in dessen Sprache er sie verfasste. Diese beiden Umstände würden allein schon genügen, eine Herausgabe seiner sämmtlichen Werke zu rechtfertigen. Und doch — wie im Leben so oft — waren es auch diesmal Impulse secundärer Natur, die mir zu meinem Unternehmen den Anstoss gaben. Ich will sie hier offen darlegen. Es sind das die zahlreichen, von Zeit zu Zeit auftauchenden Prioritätsansprüche gegen Semmelweis. Ich habe so ziemlich von allen Kenntniss genommen und aus sämmtlichen etwas geradezu Verstimmendes herausgefühlt. Denn kein Einziger von Allen, die ihm die Priorität absprechen wollten, dürfte behaupten können, die Schriften von Semmelweis, ja auch nur das obenerwähnte grosse Werk wirklich zu kennen. Ueberali blieb ein Rest übrig, den man nicht bemerkte oder nicht berücksichtigte, ohne den sich aber die in den Vordergrund gedrängten Lehren überhaupt nicht als identisch mit der Semmelweis’schen Theorie erweisen, wess- wegen es sich auch bei den „Prioritätsansprüchen“ überhaupt um keine Priorität handeln konnte. Die meisten dieser Ansprüche leiden an der Unkenntniss selbst des einfachen Satzes, der ja doch den Kernpunkt der Semmelweis’schen Lehre bildet, wonach das Kindbettfieber und die Pyaemie (im weitesten Sinne des Wortes) ein und dieselbe Krankheit ist. Auch heutzutage sind noch nicht alle Schichten der Aerztewelt davon durchdrungen, dass dies das punctum saliens seiner Lehre ist; bei so Manchen lebt diese noch immer nur als die „Theorie der cadaverösen Infection“, trotzdem Semmelweis selber in seinen Schriften dagegen „feierlichst protestirte“. Dass sich die meisten Prioritätsansprüche gerade in diesem Satze erschöpfen, bezeugt nur — und dies ist das verstimmende Moment dabei — mit welch’ unhistorischem Leichtsinn, mit welch’ unwissenschaftlicher Gewissenlosigkeit man dem Haupte