Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

25 3. durch ein am Unterschenkel einer Wöchnerin vorhan­denes, ein jauchigesSekret lieferndes Geschwür mehrere von den mit dieser gleichzeitig Entbundenen infiziert wurden. Also auch die Übertragung jauchiger Exsudate aus lebenden Organismen kann die veranlassende Ursache zum Puerperalprozesse abgeben. Indem wir diese Erfahrungen der Öffentlichkeit übergeben, stellen wir an die Vorsteher sämtlicher Gebäranstalten, von denen schon einige durch Herrn Dr. Semmelweis selbst mit diesen höchst wichtigen Beobachtungen bekannt gemacht wurden, das Ansuchen, das Ihrige zur Bestätigung oder Widerlegung derselben beizutragen.” Das warme Lob, das Hebra hier seinem Schützling spendete, sowie einige irrtümliche Auffassungen und Angaben schließen jeden Zweifel darüber aus, daß Hebra diesen Artikel selbst, ohne Mithilfe seines Freundes verfaßt hat. Er spricht von dem „epidemisch verlaufenden Puerperalprozesse”; während doch Semmelweis zu allererst die Über­zeugung gewonnen hatte, es müsse sich um eine Endemie, um ende­mische Ursachen handeln; von dem schädlichen Einflüsse jauchiger und fauliger Flüssigkeiten auf selbst unverletzte Haut, während Semmelweis gerade von Kolletschka’s Fingerverletzung ausgegangen war; von einer Wöchnerin mit jauchigem Unterschenkelgeschwür, während dieselbe an verjauchender Caries des linken Kniegelenkes gelitten hatte. Semmelweis’ Grundgedanken gab er jedoch richtig wieder, und es muß hier, zum Verständnis der späteren Vorgänge, darauf hin­gewiesen werden, daß schon in dieser ersten Publikation klar gesagt wurde: Das Puerperalfieber ist in den meisten Fällen eine Leicheninfektion, mitunter aber auch eine Infektion durch jauchige Exsudate aus lebenden Organismen. Mit vollem Recht führte Semmelweis die meisten Puerperal­erkrankungen auf Leicheninfektionen zurück. Man hat heutzutage keinen Begriff, wieviel damals, in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, allüberall seziert wurde! Schon im Jahre 1796 war eine Verordnung*) erschienen, in welcher alle Ärzte und Wundärzte Niederösterreichs aufgefordert wurden, möglichst häufig Sektionen anzustellen und merkwürdige Präparate an das Wiener allgemeine Krankenhaus zu senden. So wurde es allerorten, in der Stadt wie auf dem Lande, üblich, daß jeder Arzt seine verstor­benen Patienten und Patientinnen sezierte. So viele Todesfälle in der Praxis, so viele Sektionen. Und nach solchen wusch man sich und eilte, den Leichengeruch noch an Händen und Kleidern mit sich tragend, zu chirurgischen Operationen und geburtshilflichen Fällen! Noch mehr Sektionen täglich gab es natürlich in den Spitälern. Der § 15 des Studienplanes von 1810*) bestimmte, daß alle klinischen Leichen in Gegenwart des Professors und der Schüler der Klinik seziert werden müßten. Die Professoren und Assistenten führten diese *) Puschmann, Medizin in Wien.

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