Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)
1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien
10 keitsgehaltes u. a. im Auge. Andere dagegen nahmen an, daß infolge solcher Veränderungen ein besonderes, schädliches Ding sich entwickle, welches sich durch die Luft verbreite, ein Miasma. Der Genius epidemicus könne sich über viele Landstrecken ausdehnen, jedoch auch auf einen engeren Bezirk, wie auf eine Stadt, beschränkt bleiben. Ein Miasma vermöge sich selbst nur in einem bestimmten Gebäude, in einem Hospital heranzubilden, besonders bei starker Zusammenhäufung der Schwangeren und Wöchnerinnen. Von manchen, jedoch durchaus nicht von allen, wurde dabei noch weiter angenommen, daß bei einer gewissen Intensität und Ausbreitung der Krankheit sich ein Kontagium entwickle. Hierbei wurde der alte, dogmatische Begriff des Kontagiums festgehalten, nach welchem dieses ein spezifisches Virus darstellt, welches nur im kranken Organismus entstehen kann und von demselben, durch Kontakt auf ein anderes Individuum übergehend, in diesem dieselbe Krankheit hervorbringt. Bei dem zweiten ursächlichen Faktor dachte man bald mehr an die durch Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett modifizierte Blutbeschaffenheit, bald mehr an die Veränderung in den festen Teilen des Körpers, insbesondere an die in dem Sexualsystem. Unter dem Einfluß der Krasenlehre entstand die Anschauung, nach welcher die den Schwangeren zukommende, eigentümliche Veränderung des Blutes (Faserstoffvermehrung) an keine Grenzen gebunden sei und sich so zu steigern vermöge, daß schließlich Absätze in Form von Exsudaten an der Innenfläche und Außenfläche des Uterus zustande kämen. Aus der hyperinotischen könne sich dann durch weitere Steigerung eine pyämische und selbst eine putride Blutkrase entwickeln. Diese vermöge sich jedoch auch direkt durch den Einfluß des äußeren Faktors, des Miasmas, auszubilden. Die durch Schwangerschaft und Wochenbett hervorgebrachten eigentümlichen anatomischen Zustände der Sexualorgane ließen hier einen locus minoris resistentiae entstehen. Dies erkläre die Häufigkeit der Absätze oder Ausscheidungen aus dem veränderten Blut oder die Einwirkung des durch die Atemorgane aufgenommenen und im Blut zirkulierenden Miasmas auf jene Teile. Doch wurde wohl auch gelehrt, daß der schädliche Stoff in den Geschlechtsorganen selbst seinen Eintritt finde und dort direkt die dem Puerperalfieber zukommenden Läsionen erzeuge oder dies erst vollbringe, nachdem er vorher die Blutmasse vergiftet habe. Übrigens war dabei noch die Ansicht ganz allgemein, daß sämtliche, dem Puerperalfieber eigentümliche, anatomische Alterationen idiopathisch durch Traumen, schlechte Kontraktion des Uterus, Erkältung, Diätfehler etc. entstehen, und daß dann die Blutveränderungen, wie sie bei jener Krankheit vorhanden sind, sich sekundär ausbilden könnten.” Alte Praktiker schwörten auf folgende Theorie: Die Unterdrückung der Menstruation bewirke eine Ansammlung unreiner Säfte im Blute, welche normalerweise in Gestalt der Lochien abfließe. Bleibe der Lochialfluß aus, dann erzeugten die unreinen Säfte das Puerperalfieber. Dieselbe Folge trete ein bei „verhaltener Milch7’. Andere wieder sahen in einer „rotlaufartigen Entzündung der Eingeweide” das Wesen der Krankheit. Ob man nun dieser oder jener speziellen Theorie huldigte, allgemein angenommen war im kontinentalen Europa jener Zeit die Anschauung, daß das Kindbettfieber epidemisch auftrete, und die diese damals geradezu selbstverständliche Grundanschauung war es, an der