Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)
1818-1845. Kindheit und Jugendjahre
angelegenheiten der eigentliche Leiter des Studienwesens war. „Unter seinem Schutz erhob die freie Forschung ihr Haupt und bereitete den Boden vor, auf dem sich eine neue Blüteperiode der Medizin entwickeln sollte”.*) Dieser wahre Freund der Wissenschaft, dessen treuer Mitarbeiter der wegen seiner Unbestechlichkeit bestgehaßte Hofsekretär Hermann v. Huze**) war, setzte es im Jahre 1840 durch, daß im Allgemeinen Krankenhause eine Abteilung für Brustkranke errichtet und trotz des Widerstandes Hildenbrands und Schiffners der Polizeibezirksarzt Skoda zum ordinierenden Arzte derselben ernannt wurde. Im nächsten Jahre erhielt Skoda überdies das Primariat der 6. Abteilung für Hautkrankheiten und innere Leiden, die sogenannte Ausschlagsabteilung, welcher der 25jährige Dr. Ferdinand Hebra zunächst als Hilfsarzt, dann als Sekundararzt zugeteilt wurde. Letzterer begann hier alsbald dermatologische Kurse zu lesen, während sein Vorgesetzter, Primarius Skoda, auf der Brustkrankenabteilung die Perkussion und Auskultation lehrte. Ein eifriger Besucher dieser ganz neuartigen, nicht obligaten Vorlesungen war Semmelweis, und mächtig war der Einfluß dieser zielbewußten Forscher auf ihn. Trotzdem war und blieb die Geburtshilfe und Gynäkologie sein Lieblingsfach, und diese Leidenschaft vermochte ihm nicht einmal der langweilige Fachprofessor auszutreiben. Johann Klein, geboren 1788 in Schlesien, war zuerst Assistent Boér’s, des großen Meisters der Geburtshilfe der alten Wiener Schule, wurde 1819 als Professor der Geburtshilfe nach Salzburg geschickt und übernahm nur drei Jahre später die Leitung der Gebärklinik in Wien, als Nachfolger seines nicht freiwillig zurückgetretenen Lehrers. Bo ér, der für den ersten Mann seines Faches in Europa galt und bei Kaiser Joseph II. in großer Gunst gestanden hatte, war gerade deshalb den Nachfolgern des großen Kaisers und dem Klerus verhaßt. Unter Metternich wagte man es endlich, ihn wegen seiner angeblichen Eigenmächtigkeiten einer Disziplinaruntersuchung zu unterziehen. Da er sich in seinen Vorlesungen nicht an das vorgeschriebene Lehrbuch hielt und die Hebammen-Schülerinnen statt an der Leiche nur am Phantom üben ließ, wurde er „wegen ganz besonderer Widerspenstigkeit” seiner Stelle enthoben. Unter den Bewerbern um die erledigte Stelle galt Klein für den unbedeutendsten; Bo ér hatte ihn ausdrücklich als solchen bezeichnet, aber gerade deshalb berief man ihn an die Stelle, um den verhaßten Josephiner zu kränken.***) Der damals erst 34jährige Mann, von dessen wissenschaftlicher Tätigkeit sich niemand etwas Besonderes versprach — er hat auch nachher außer einigen Artikeln in medizinischen Journalen nichts veröffentlicht — erwies sich den Behörden gegenüber gefügiger als sein großer Vorgänger, ließ die *) Puschmann, Die Medizin in Wien während der letzten 100 Jahre. 1S84. **) Zu diesem kam einmal ein Erzherzog und empfahl jemanden für eine erledigte Stelle. Huze antwortete: „Wenn er es verdient, kaiserliche Hoheit, wird er die Stelle bekommen.” Er bekam sie nicht. ***) Nach Puschmann, Med. in Wien, und Kussmaul, Jugenderinnerungen.