Papers and Documents relating to the Foreign Relations of Hungary, Volume 1, 1919–1920 (Budapest, 1939)

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182 1920 gewechselt haben, dass sie erst seit 300 Jahren sich ständig im ungarischen Besitz befinden und dass sie Ungarn nur durch einen dynastischen Akt des Hauses Habsburg zugefallen sind, während die Landstände von Niederösterreich es bei keinem Regierungswechsel unterlassen haben, sich gegen diese Willkür zu verwahren. Endlich sind sie für Wien, Niederösterreich und Graz auch aus geographischen, wirtschaftlichen und verkehrs­politischen Gründen unbedingt nötig, eine Notwendigkeit, die allerdings nicht so deutlich hervortrat, als beide Staaten noch unter einem Herrscher und in einer politischen und Zollgemeinschaft standen. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Landkarte zeigt sofort, dass die bisherige Leitha-Grenze als militärische und Zollgrenze zweier souveräner Staaten undenkbar und un­erträglich ist. Wirtschaftlich gesehen aber ist dieses Gebiet seit jeher der Gemüsegarten und der Milchanlieferungsrayon von Wien gewesen und haben seine Bewohner seit unvordenklichen Zeiten die Wiener Märkte befahren. Diese wirtschaftlichen und geographischen Gründe unterstützen, ob schon auf sie nicht das Hauptgewicht gelegt werden soll, unsere nationalen Auffas­sungen wesentlich. So denkt die überwältigende Mehrheit des österreichischen Volkes und so wird sie immer denken. Es wird nie verstehen, warum das ungarische Volk Wert darauf legen sollte, dieses an sich nicht grosse, nichtmagyarische Siedlungsgebiet vor den Toren unserer Hauptstadt Wien in nationaler Fremdherrschaft zu halten. Im Denken unseres Volkes handelt es sich bei der Rückkehr Deutschwestungarns zu Österreich um die Befreiung eines durch den Machtspruch eines Habsburgers zu unrecht annektierten Gebietes, also um die Rückgängigmachung einer willkürlichen Einverleibung. Die Republik Österreich hat in keiner Phase des Streites um dieses Gebiet an gewaltsame Besetzung, an kriegerische Eroberung oder Unterwerfung gedacht, sie hat einzig und allein an den Schiedsspruch der grossen Mächte appelliert und mit äusserster Zurückhaltung auf den Vollzug des einmal gefällten Spruches durch die Mächte selbst gewartet, indem es auf die Denkweise der Ungarn, mit denen es in Hinkuft in dauernder Freundschaft zusammenzuleben wünscht, sorgfältige Rücksicht nahm und heute noch nimmt. Die österreichische Regierung gibt auch heute die Hoffnung nicht auf, dass das ungarische

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