Inventare Teil 7. Inventar des Wiener Hofkammerarchivs (1951)

Das Wiener Hofkammerarchiv

XXVIII Das Wiener Hofkammerarchiv Daß man den mit dieser Ernennung beschrittenen Weg nicht konsequent weiter verfolgte, mag seinen Grund zum Teil auch in der Veränderung haben, die das Jahr 1868 für das Archiv brachte. 1867 war der Ausgleich der Krone mit Ungarn zum Abschluß gekommen, und am 1. Jänner 1868 genehmigte der Kaiser die ihm vom Einanzminister Ereiherrn v. Becke zur Organisierung eines neuen Gemeinsamen Finanzministeriums unterbreiteten Anträge, deren einer die Überweisung des alten Hofkammerarchivs als eines „Reichsarchives“ an das neue Reichsfinanzministerium vorsah. Von da ab war das Archiv, nunmehr ,,k. u. k. Reichs-Finanzarchiv“, der Verwaltung durch das Gemein­same Finanzministerium überantwortet, dessen Chef selbst sich wiederholt als sein „Depositar“ bezeichnete. Es war eine folgenschwere Entscheidung, die durch die ungarischerseits an sie geknüpften Forderungen bald schon den Bestand des Archivs gefährdete. Nachdem bereits 1875 ein vom kgl. ungarischen Minister am ah. Hoflager, Baron Wenckheim, gestelltes Ersuchen, eine Anzahl Akten, die zur Durch­führung eines Urbarialprozesses gegen mehrere Gemeinden des Bacser Komitates benötigt wurden, an Ungarn abzutreten, seitens des Reichsfinanz­ministeriums unter Hinweis auf die „Unmöglichkeit einer Trennung der Archivakten“ hatte abgelehnt werden müssen, trat die ungarische Regierung bereits im folgenden Jahre mit einem wesentlich weitergehenden Ansinnen hervor. Sie begehrte jetzt nicht nur die „Rückstellung“ jener Akten, die in josephinischer Zeit, da der ungarisch-siebenbürgischen Hofkanzlei die Kameral- verwaltung überlassen war, bei dieser Behörde entstanden waren, sondern auch „im allgemeinen alle jene weiteren Schriftstücke, welche bei den Finanz- und Administrationsbehörden Ungarns vom Anfang des 16. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts aufgelaufen und im Gemeinsamen Finanzarchiv hinter­legt“ worden waren. Diesem Ansinnen gegenüber stellte sich das Reichs­finanzministerium auf den Standpunkt, „daß für ein von Ungarn behauptetes Sondereigentumsrecht an den ungarische Dinge betreffenden Akten der allgemeinen Hofkammer weder eine gesetzliche noch eine durch Vereinbarung der beiden Reichshälften geschaffene vertragsmäßige Basis bestehe“. Aber Ungarn ließ nicht locker und 1884 traf es — Reichsfinanzminister war Benjamin v. Kállay — auf eine wenigstens nicht mehr grundsätzlich ablehnende Haltung des Gemeinsamen Finanzministeriums. Kállay erklärte, „er hege seinerseits weder vom politischen noch vom archivalischen Standpunkt irgend ein Bedenken gegen die Teilung der Akten des Hofkammerarchivs“, betonte aber, er müsse als bloßer „Depositar“ des Archivs „jede meritorische Verfügung dem Einvernehmen der beiden Regierungen überlassen“. Eine solche Ver­ständigung jedoch war — zunächst wenigstens — nicht zu erzielen. Graf Taaffe, der österreichische Ministerpräsident, lehnte die 1884 vom ungarischen Regierungschef, Koloman v. Tisza, vorgetragenen Forderungen ab; nur zu einer Auslieferung von Archivalien, „welche mit der eigentlichen Bestimmung des Hofkammerarchivs, d. i. der Aufbewahrung der Akten der bestandenen allgemeinen Hofkammer und der derselben adjungierten Hofkommissionen, Hofdeputationen u. dgl. keinen näheren Zusammenhang hätten, welche also nur zufällig in dieses Archiv gekommen seien“, zeigte er sich bereit. Aber selbst über solche Akten wäre erst noch eine gemischte fachmännische Kommission zu vernehmen, da nur Akten, „welche weder für das Gesamt- Archiv, noch für die diesseitige Reichshälfte irgend ein Interesse hätten, sondern nur lokale oder territoriale Verhältnisse der Länder der ungarischen Krone beträfen“, dem ungarischen Landesarchiv übergeben werden könnten. Und

Next

/
Thumbnails
Contents