Inventare Teil 7. Inventar des Wiener Hofkammerarchivs (1951)
Das Wiener Hofkammerarchiv
Das Wiener Hofkammerarchiv XXVII bis zur Decke reichende Aktenstellen eingebaut wurden. Von den an den Haupttrakt nur in einer Tiefe von zwei Fensterachsen ansetzenden Hof trakten nahm der eine das Stiegenhaus, der andere im zweiten Stockwerk das Amtszimmer des Direktors auf, das, unter Denkmalschutz stehend, in seiner von Grillparzer eingerichteten und benützten Gestalt erhalten ist. Die übrigen Beamten arbeiteten in den Depoträumen, eine Anordnung, deren auf der Hand liegende Nachteile durch eine wegen dieser Verteilung notwendige zentrale Beheizungsanlage (Luftheizung) für das ganze Haus in etwas gemildert wurden. In der Zeit zwischen 26. Juni und 19. August des Sturmjahres 1848 bezog das Hofkammerarchiv sein neues Heim, und kamen damit seine Bestände in jene übersichtliche und saubere Aufstellung, in der sie bis zum Umbau des vierten Stockwerkes im Jahre 1937/38 verblieben und die aus dem damals angelegten „Generalindex“ heute noch ersichtlich ist. Fast genau achtzig Jahre hatte also diese Ordnung Bestand, und das spricht wohl sehr für die Umsicht und das archivarische Verständnis, das bei ihrer Aufrichtung obwaltete, und würde allein schon dem „Archivdirektor“ Grillparzer ein gutes Zeugnis ausstellen, wüßte man nicht aus den Kurrentakten des Archivs, die zahlreiche Berichte und Auskünfte von seiner eigenen Hand enthalten, daß der Dichter ein alle seine Vorgänger weit überragender, aber in manchen Erkenntnissen auch seinen nächsten Nachfolgern um einiges vorauseilender Archivar gewesen ist. Wie stark er sich der aus den tausenden von Aktenbündeln sprechenden Vergangenheit verhaftet, wie tief er sich seinem archivarischen Beruf verbunden fühlte, bezeugen uns seine bekannten Verse: „Hier sitz’ ich unter Faszikel dicht, Ihr glaubt, verdrossen und einsam, Und doch, vielleicht, das glaubt Ihr nicht, Mit den ewigen Göttern gemeinsam.“ (März 1855.) Freilich, damals hatte sich doch auch „höheren Ortes“ schon ein Wandel in der Einschätzung der Aufgaben und der Leistung des Archivars angebahnt. „Wenn der archivsdienst“, so heißt es in einem Hofkammervortrag vom 17. April 1817, „nicht zur geistlosen manipulation und zur nutzlosen, bloss mechanischen actenverwahrung herabsinken, sondern allenthalben jenes licht und jene aufklärung zu verschaffen geeignet seyn soll, welche eine richtige beurtheilung und entwicklung der geschäfte aus früheren Zeiten oft dringend fordern. Wenn dieser dienst ferner geeignet seyn soll, was doch gewiss zu wünschen wäre, selbst in litterarischer und ganz vorzüglich historischer beziehung wohlthätig zu wirken, in unaufgeforderter emsiger thätigkeit interessante ereignisse und Wahrheiten aus der Vergessenheit und den urkunden früherer jahrhunderte zu tage zu fördern, so fordert es ganz gewiss von Seite der individuen liebe zum fache und nicht unbedeutende wissenschaftliche vorkenntnisse“. Nur bis man aus solcher Einsicht die entsprechenden Folgerungen zog und Leute mit der notwendigen Schulung anstellte, bis man gar den wissenschaftlichen Archivdienst dem ministeriellen Konzeptsdienst annäherte und schließlich gleichstellte, vergingen noch viele Jahrzehnte. Der erste wissenschaftliche Beamte des Hofkammerarchivs, der an dem 1854 gegründeten Institut für österreichische Geschichtsforschung seine fachliche Ausbildung erhalten hatte, war Dr. phil. Franz Kürschner, der nach fünfjähriger Dienstleistung als Adjunkt 1874 Direktor wurde, nachdem er 1872 die Venia legendi für historische Hilfswissenschaften erhalten hatte.