Inventare Teil 5. Band 7. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Österreichische Akten, von Lothar Groß
36 Österreichische Akten. Gewalt ausüben und aus zwei Kammern bestehen sollte, deren Mitglieder teils vom Kaiser ernannt, teils gewählt werden sollten.1 Am 8. Mai wurde eine Reichstagswahlordnung erlassen.2 Die Unzufriedenheit mit der Verfassung, namentlich mit dem Zweikammersystem, und der sie ergänzenden Wahlordnung, war so groß, daß der Kaiser sich am 16. Mai gezwungen sah, beide dahin abzuändern, daß der Reichstag aus einer Kammer zu bestehen habe, als eine konstituierende Versammlung die Verfassung vom 25. April zu beraten habe und die Wahlberechtigung auf breitere Grundlage gestellt werde.3 Am 30. Mai wurde die den Wünschen der Bevölkerung entsprechende Wahlordnung als provisorische verlautbart. Noch waren die Wahlen nicht zur Gänze durchgeführt, als der Reichstag am 22. Juli in Wien eröffnet wurde. Obwohl er durch die Ereignisse des Oktobers zu einem Rumpfparlament zusammengeschmolzen war, obgleich Kaiser Ferdinand am 22. Oktober verfügte, daß der Reichstag seine Sitzungen in Wien alsobald zu unterbrechen und am 15. November in Kremsier wieder zusammenzutreten habe, tagte er bis zum 31. Oktober in Wien. Am 22. November wurden die Sitzungen in Kremsier wieder auf genommen. Der Verfassungsausschuß hatte den Entwurf der Verfassung bereits vollendet und schon war dessen Beratung im Plenum angesetzt worden, als am 4. März 1849 eine Verfassung oktroyiert wurde, welche — die Eroberung Ungarns war im besten Gange — sich auch auf Ungarn erstrecken sollte; wenige Tage später, am 7. März, wurde der Reichstag aufgelöst.4 Die aus der Tätigkeit des österreichischen Reichstages erwachsenen Archivalien befanden sich nach der Auflösung des Kremsierer Reichstages in der Verwahrung der Reichstagskanzlei, die sich in Wien im Hause Wipp- lingerstraße 360 befand. Erst als durch die Sistierung der oktroyierten Verfassung vom 4. März 1849 am 31. Dezember 1851 der Reichstag auch rechtlich beseitigt wurde, schritt man zur Auflösung der Kanzlei. Den unmittelbaren Anlaß bot die Steigerung des Mietzinses durch den Hauseigentümer. Eine Note des Ministers des Innern Bach an das Ministerium des Äußern vom 21. April 1852 spricht den Wunsch aus, das StA. möchte das Archiv des Reichstages übernehmen, da es „mitunter wichtige Belege für 1 E. Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, 2. Aul, S. 106 ff. 2 Ebenda, S. 110, Nr. 37. 3 Ebenda, S. 111, Nr. 37 a. 4 Die stenographischen Sitzungsprotokolle der vorberatenden Sitzungen und der Reichstagssitzungen sind veröffentlicht in den „Verhandlungen des österreichischen Reichstages nach der stenographischen Aufnahme“, Wien, Hof- und Staatsdruckerei, 5 Bände; die Protokolle des Verfassungsausschusses vom 22. Jan. bis 4. März 1849 wurden von Anton Springer, Protokolle des Verfassungs-Ausschusses im Österreichischen Reichstage 1848—1849, Leipzig 1885, nach Abschriften, welche der ehemalige Reichstagsabgeordnete Adolf Pinkas besaß, herausgegeben. Josef Redlich fand die Originale im Nachlaß des ehemaligen Reichstagsabgeordneten und späteren Ministers Josef Freiherrn von Lasser und ergänzte Springers Veröffentlichung (Josef Redlich, Die Originalprotokolle des Verfassungsausschusses im Kremsierer Reichstage, Österreichische Rundschau, Band 17, S. 163 ff.). Eine weitere Ergänzung nach den im Reichstagsarchiv erhaltenen Protokollen des Jahres 1848 brachte Albrecht Fischei, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte. Ein Beitrage zur Geschichte des österreichischen Reichstages vom Jahre 1848. Wien und Leipzig 1912. Vgl. auch Josef Redlich, Das Verfassungs werk im Ausschuß des Kremsierer Reichstages (dritter Abschnitt des ersten Bandes seines Werkes: „Das österreichische Staatsund Reichsproblem“).