Inventare Teil 5. Band 7. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)

Belgien, von Oskar Schmid

142 Belgien. sehen Kanzlei bei der Jahresbezeichnung nach dem Osteranfang datiert wurde (stile de Namur, stilus curie Cameracensis), ein Gebrauch, der erst unter Philipp II. 1575 abgeschafft wurde.1 Diese Gepflogenheit fand nicht nur in der Kanzlei der Statthalterinnen, sondern auch in der burgundischen Kanzlei des Kaisers und auch in einem größeren Kreis der damit Kor­respondierenden, die eben dem niederländischen Bereich angehörten, Ein­gang. In anderen Fällen wird man jedoch wieder die damals schon über­wiegend in Gebrauch stehende Datierung nach dem Circumcisionsstil (1. Januar) finden. Oft bedürfte es wohl einer genaueren Untersuchung des betreffenden Stückes, um seine richtige Datierung festzustellen; in manchen Fällen wird man dieser Untersuchung durch die Formel „aprés pasques“ oder „avant pasques“ enthoben. Die Frage nach der richtigen Datierung hat schon seit Wynants Zeiten Kopfzerbrechen verursacht, wie das viel­fache Herumbessern an den Datumsangaben der einzelnen Stücke (am lin­ken oberen Rand) dartut, und die komplizierte und ungewohnte Datierung hat auch sofern üble Folgen gezeitigt, als man in vielen Fällen die Beob­achtung machen kann, daß die Akten schon seinerzeit falsch gereiht wur­den und sich heute noch in dieser Reihung vorfinden.1 2 Gewisse Aufmerksamkeit ist ferner noch einigen Kanzleigewohnheiten zuzuwenden. Sparsamkeit in der Verwendung von Konzeptpapier brachte es mit sich, daß oft die Konzepte von Antwortschreiben auf dem zu beant­wortenden Einlaufstück entworfen wurden, oder daß man ein Blatt Papier sehr häufig für zwei oder noch mehr Konzepte verwendete, und zwar in so wenig auffälliger Weise, daß leicht der eine oder andere Entwurf übersehen werden kann. Zu irrigen Schlüssen mag ferner Veranlassung geben, daß ein mit Adresse, etwa auch mit Siegel versehenes Umschlagblatt eines Ein­laufstückes zum Entwurf eines Konzeptes Verwendung fand. Da Ausfer­tigungen in ihrer äußeren Form sich häufig recht unscheinbar darstellen, mit unauffälliger Unterschrift versehen sind oder eine Unterschrift über­haupt fehlt, Konzepte hingegen gelegentlich in ihrer äußeren Form einer Reinschrift gleichen, können sich aus diesen Anlässen leicht mancherlei Irrtümer und Verwechslungen ergeben. Nicht nur in der Korrespondenz zwischen Karl V. und den Regentin­nen, sondern auch in der der Gesandten und sonstigen Funktionäre, die in amtlicher Beziehung zum Herrscher und zu der niederländischen Statthalter­schaft standen, fanden sehr häufig Geheimschriften (Ziffern) Anwendung. Hinsichtlich dieser sei auf die 1936 erschienene Abhandlung von Franz Stix3 verwiesen. An dieser Stelle muß ich mich lediglich darauf beschrän­ken zu betonen, daß eine große Anzahl von Ziffernschlüsseln — fast jeder 1 Vgl. Dr. H. Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Hannover und Leipzig 1910, S. 13. 2 So beginnt etwa ein Bündel mit dem 1. Januar des Jahres 1530 (als Jahresdatum wurde 1529 angesehen), um dann ab Ostern mit Korrespondenz aus dem Jahre 1529 seine Fortsetzung zu finden. 3 Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch­historische Klasse, Fachgruppe II: Mittlere und Neuere Geschichte, Neue Folge, Band I Nr. 6, Band II Nr. 4, Berichte und Studien zur Geschichte Karls V., XIV und XVI. Die Geheimschlüssel der Kabinettskanzlei des Kaisers (I. und II. Teil).

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