Inventare Teil 5. Band 7. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Belgien, von Oskar Schmid
140 Belgien. Gewinn. Auch hier bleibt unendlich viel zu wünschen übrig. Ohne Rücksicht auf archivalische Gesichtspunkte wurden sogenannte Duplikate des Repertoriums P, Konzepte, alte Kopien oder durch den Grafen Wynants besorgte Abschriften des 18. Jahrhunderts1 an Belgien abgeliefert. Diese „Dubletten“ ergaben sich naturgemäß aus der doppelten Überlieferung der Korrespondenzen des Kaisers mit den Statthalterinnen sowohl in den Registraturen Karls Y. als auch in denen Margaretes, bzw. Marias. In Wien wurden also, da man die belgische Abteilung weniger vom Gesichtspunkte eines Archivs als von dem einer interessanten Sammlung aus betrachtete, die „schöneren“ Stücke, als welche sich natürlich die Ausfertigungen darstellten, zurückbehalten, während man die Konzepte ohne Rücksicht auf ihre Herkunft als Dubletten und geeignete Tauschobjekte ansah. Als ein mißlicher Umstand stellt sich ferner dar, daß der uns im Repertorium P in seiner heutigen Gestalt vorliegende Bestand — auch wenn man von der übermäßigen Schmälerung, die er durch die Auslieferungen erlitt, absieht — nicht einmal im Rahmen des StA. als ein geschlossener und einheitlicher Archivkörper angesehen wrerden kann. In dieser Hinsicht befindet sich das Repertorium P (AB. 195) sogar im Nachteil gegen das Repertorium D D (AB. 196, unten IV). Selbst wenn man sich auf den irrigen Standpunkt stellt, daß gewisse Territorialbetreffe und sonstige Belange als Grundlagen zu Neueinteilungen angenommen werden können und daß man etwa englische und französische Gesandschaftskorrespondenz als mit Fug und Recht an die betreffenden Ländergruppen, wro sie sich heute befinden, abgetreten gelten läßt, muß die bestehende Einteilung als verfehlt angesehen werden. Denn wir können feststellen, daß dieser Grundsatz keineswegs konsequent durchgeführt ist, was übrigens auch gar nicht möglich war. Ungeachtet der Tatsache, daß sich im Repertorium P heute noch zahlreiches Material vorfmdet, das nach den Grundsätzen dieser Einteilung ausgeschieden werden sollte, enthalten die Ländergruppen Archivalien, die ihnen nicht zugehören, aber dorthin gelangten, da sie als Konzepte etwa mit solchen, die englische Betreffe enthielten, auf dem gleichen Bogen Papier entworfen waren, also ein untrennbares Ganzes bildeten. Ein Beweis mehr dafür, daß das Repertorium P eine einheitliche Masse darstellte, von der man nicht noch etwas hätte abspalten dürfen. Die einzige angängige, sogar wünschenswerte Scheidung wäre die nach den Registraturen des Kaisers und der Statthalterinnen gewesen. Eine Darstellung des heutigen Repertoriums P ohne seine abgetrennten Teile ist daher leider nur Stückwerk. In bezug auf äußere Merkmale ist bei allen Akten, die sich heute und ehemals im Repertorium P vereinigt befunden haben, folgendes festzustellen: Die erste archivalische Vereinigung, auch dadurch kenntlich gemacht, daß die Akten mittels einer starken Schnur auf gefädelt und in Pakete vereinigt wurden, vollzog sich in den Vierzigerjahren des 18. Jahrhunderts, 1 Vgl. S. 103-107.