Inventare Teil 5. Band 7. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Belgien, von Oskar Schmid
128 Belgien. Belgien eine möglichst wohlwollende Interpretation anwenden würde, da gerade jetzt wieder zwei Kisten sehr wertvoller Materialien für Belgien bereitlägen. Die genannten Akten wurden von Belgien nicht ausgeliefert, vielmehr verlangte es die bereitgestellten Materialien, ohne sich mit der Ausfolgung dieser oder anderer längst erwarteter Archivalien erkenntlich zu zeigen, was die Verstimmung in Wien abermals erhöhte. Österreichi- scherseits wurde auch erwogen, das Auslieferungswerk etwas zu drosseln und Forderungen, die Gachard stellte, zunächst nur teilweise zu berücksichtigen, um die belgische Regierung zu Gegenleistungen gefügiger zu machen. Doch da Gachard zu sehr drängte und die österreichischen Bestände zu genau kannte, sah man von solchen Maßnahmen wieder ab. Werden die Endergebnisse der österreichischen und belgischen Auslieferungen einander gegenübergestellt, so bietet sich folgendes Bild: Österreich lieferte in den Jahren 1856—1875 in zwölf „großen“ und zehn „kleinen“ Auslieferungen 1306 Faszikel und Bündel, 4732 Urkundennummern und eine große Schachtel Siegel in 31 Kisten und großen Paketen aus, Belgien hingegen in vier Auslieferungen der Menge nach ungefähr 65 bis 70 Faszikel — sie entstammten überwiegend dem deutschen Staatssekretariat —, an den Akten allein gemessen also kaum den zwanzigsten Teil dessen, was Österreich nach Brüssel gelangen ließ. Der größere Teil der von Belgien ausgelieferten Akten wurde hier, seiner Eigenschaft als habsburgische Korrespondenz entsprechend, zu einer eigenen Untergruppe des Familienarchivs, Belgische Korrespondenz (unten III e/3) genannt, gestaltet, vieles jedoch von dem im wesentlichen einheitlichen Bestand des nach Wien gelangten Teiles des deutschen Staatssekretariats (unten III e/2) losgelöst und rein dem Betreffprinzip zufolge anderen Abteilungen des StA. eingefügt. Die Wege dieser Archivalien zu verfolgen, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, und es erweckt den Anschein, daß man sich möglichst bemühte, die Spuren der Herkunft zu verwischen.1 Der Reihe nach gelangten folgende belgische Ablieferungen nach Wien: I. Nachdem bereits in drei Kisten 90 Faszikel und Konvolute sowie 1524 Urkunden der belgischen Gesandtschaft überstellt worden waren, langte verspätet, im Februar 1857, die erste belgische Sendung in Wien ein. Dem Umfange nach bestand sie aus elf Paketen, enthaltend Korrespondenzen Ferdinands I., Maximilians II. und Rudolfs II.1 2 Während die eben genannten Archivalien (Nr. I, II, III) in die Belgische Korrespondenz eingeteilt wurden, verfügte man über den übrigen Rest der Auslieferung in 1 Der AB. 193 „Übersichtliche Verzeichnisse über die 1857—1873 in vier Lieferungen aus Belgien erhaltenen, in 40 Faszikeln eingeteilten Archivalien“ verzeichnete diese Umstellungen nicht; sie wurden jetzt, so weit sie bekannt sind, nachgetragen. Bemerkenswert ist ferner, daß die in verhältnismäßig größerer Anzahl in die Familienakten (Bd. II S. 13ff.) gelangten Bestände des deutschen Staatssekretariates im AB. 475 „Zettelkatalog zu den Familienakten des Familienarchivs 1411—19 . .“ gleichfalls nicht vermerkt wurden, so daß sie fast als verschollen zu betrachten waren. 2 Nr. I, II, III des Auslieferungsverzeichnisses in AB. 193; heute Karton 1—8 der Belgischen Korrespondenz (vgl. AB. 292).