Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
82 Die Urkundenabteilung. eine Zeitlang das habsburgische Haupt- und Reichsarchiv. Wir ersehen dies z. B. aus dem im Jahre 1529 ergangenen Auftrag der Niederösterreichischen Raitkammer, aus dem „Schaczgewelb in der Burg zu der Neuenstatt“ außer einzelnen bezeichneten Archivalien auch „die Cilischen, Ortenburgischen und Kaiser Friedrichs lehenpuecher“ an Wilhelm Putsch zum Transport nach Wien auszufolgen.1 Es ist möglich, daß das ganze Cillische Archiv, also auch die Urkunden, sowie die damit verbundenen Archive von Orten- burg, Heunburg und Sternberg nach dem Aussterben der Grafen von Cilli im Jahre 1456 direkt nach Wiener-Neustadt gekommen und erst von Putsch ins Wiener Schatzgewölbe gebracht worden sind. Im Jahre 1565 kamen diese Dynastenarchive außer dem Sternbergschen fast zur Gänze nach Graz,1 2 obzwar sie nach dem Erlöschen des cillischen Hauses entweder zum größten Teil gleich nach Wien gebracht worden oder zunächst in Wiener-Neustadt, aber als dem damaligen kaiserlichen Archiv, gelegen waren. Maßgebend für die Auslieferung dieser Archive nach Graz war ihre territoriale Zugehörigkeit zu „Innerösterreich“, d. h. zu der durch die Teilung von 1554 bzw. 1564 gebildeten Ländergruppe des Erzherzogs Karl. Aus dem gleichen Grunde kamen damals auch noch weitere umfangreiche Bestände ins Grazer Schatzgewölbe, die weder jemals in Graz noch auch in Wiener-Neustadt gewesen waren: so vor allem das Archiv der Grafen von Görz, das doch Putsch nicht aus Graz, sondern aus Innsbruck nach Wien gebracht hatte, und — ein Bestand, der die Nichtbeachtung der Provenienz im heutigen Sinne am krassesten zeigt — eine stattliche Anzahl von Urkunden aus dem Archiv der Tiroler Linie des Görzer Hauses. Rosenthals Verzeichnis der aus Graz nach Wien gebrachten Urkunden beginnt mit den Belehnungsurkunden König Rudolfs I. von 1286 und Albrechts I. von 1299 auf die Meinhardiner über das Herzogtum Kärnten, und im Repertorium XXIV (AB. 406) finden wir nach der ältesten, noch aus dem Spanheimischen Archiv stammenden Urkunde dieses Repertoriums, einem Lehenbrief des Bischofs Konrad von Freising auf Herzog Berthold von Kärnten von 1246, zahlreiche wieder ins Ausstellerarchiv zurückgekehrte Lehen- und Pfandbriefe der Herzoge Meinhard, Otto und Heinrich (Königs von Böhmen) sowie Pfand- und Lehenreverse auf diese Fürsten (aus den Jahren 1273, 1293, 1307, 1308, 1309, 1311, 1312, 1313, 1328, 1329, 1331) oder etwa zwei Verträge des Patriarchen Ottobonus von Aquileia mit den Herzogen Otto und Heinrich vom 6. Nov. 1305 und 15. Juni 1307. Alle diese Urkunden kamen, weil sie Kärnten betreffen, bei der Teilung von 1564, da jetzt Kärnten wie Görz zum Länderteil Erzherzog Karls gehörten, ebenso wie das Archiv der Görzer Grafen nach Graz, obzwar Kärnten zur Zeit ihrer Ausstellung mit Tirol verbunden war und Putsch diese Urkunden sicher aus dem Innsbrucker Schatzgewölbe genommen hatte.3 Ebenso stoßen wir unter den 1 Allgemeine Urkundenreihe unter 26. Okt. 1545. s Siehe S. 42, 44, 45. 3 Auch sonst stoßen wir im Repertorium XXIV (AB. 406) des öfteren auf Urkunden, deren Herkunft aus dem Innsbrucker Schatzgewölbe sich beweisen läßt; so trägt die in Form eines Urbars ausgestellte Heiratsverschreibung Christof Ungnads für seine Frau Anna