Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Klosterarchive von Walther Latzke
546 Die Klosterarchive. Wien — Jesuiten, Profeßhaus. Die Verbindung des „Kaiserlichen Kollegiums“ der Jesuiten in Wien mit der Wiener Universität, wie sie durch das Dekret Ferdinands II. vom 21. Okt. 1622 verfügt wurde, hatte eine räumliche Zusammenlegung von Kollegium und Universität bedingt. Im März 1625 war das Kollegium in sein neues Heim am Universitätsplatz übersiedelt, das alte „Kaiserliche Kollegium“ (das ehemalige Karmeliterkloster) aber sollte wie bisher das Provinzialat der österreichischen Ordensprovinz beherbergen und daneben als Profeßhaus dienen.1 Bis zum 7. Juni 1556 hatte Ignatius von Loyola die Angelegenheiten der Jesuitenkollegien in Deutschland von Rom aus selbst geleitet. Die große räumliche Entfernung dieser Niederlassungen von der Ordenszentrale veranlaßte nun den General zur Errichtung zweier besonderer Ordensprovinzen, der ober- und niederdeutschen. Die oberdeutsche Provinz, unter Leitung des P. Petrus Canisius, umfaßte die Ordenshäuser zu Augsburg, Ingolstadt, München, Innsbruck, Prag, Tyrnau und Wien. 1563 trennte der Jesuitengeneral Laynez die Kollegien Wien, Prag und Tyrnau von der oberdeutschen Provinz los, bildete daraus eine eigene österreichische Provinz und betraute mit ihrer Leitung den P. Lanoy.1 2 Die immer größer werdende Zahl der Jesuitenniederlassungen in den habsburgischen Ländern veranlaßte die österreichische Provinzialkongregation schon 1599 den General P. Aquaviva um die Teilung der Provinz in eine österreichische und eine böhmische zu ersuchen,3 doch kam es zunächst nicht dazu und erst der General P. Vitelleschi führte am 6. Dez. 1622 die Teilung durch.4 Seitdem umfaßte die österreichische Provinz die Gebiete der niederösterreichischen und innerösterreichischen Länder, sowie Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen. Zur Zeit der Aufhebung des Ordens bestand die Provinz aus 31 Kollegien (Collegium Academicum in Wien, Erlau, Ofen, Kaschau, Klagenfurt, Klausenburg, Krems, Fiume, Güns, Görz, Graz, Raab, Judenburg, Laibach, Leoben, Leutschau, Linz, Neusohl, Wiener-Neustadt, Passau, Posega, Preßburg, Fünfkirchen, Ödenburg, Steyr, Skalitz, Triest, Trent- schin, Tyrnau, Varasdin, Ungvár und Agram), 20 Residenzen (Karlsburg, Hermannstadt, Komorn, Eperjes, Gyöngyös, Millstatt, Nagybánya, Sárospatak, Rosenau, Kirchdorf-Zips, Schemnitz, Schurz, Sillein, Gran, Szatmár- Németi, Traunkirchen, Turocz, Großwardein und Udvárhély) und 9 Missionen (Stuhlweißenburg, Esseg, Leopoldsstadt, Liptau, Peterwardein, Má- ros-Vásarhély, Baszin, Temesburg, Felsőbánya und Kronstadt), endlich aus dem Probhause St. Anna und dem Profeßhause zu Wien. — Die päpstliche Aufhebungsbulle vom 21. Juli 1773 und ihre Durchführung mit dem Hofdekret vom 10. Sept. 1773 setzten der österreichischen Provinz ein Ende. Mit der Übersiedlung des Wiener Kollegiums auf den Universitätsplatz war auch die Möglichkeit für eine neue Gründung gegeben: am 12. März 1625 wurde im alten Kollegium das erste deutsche Profeßhaus errichtet. Sein erster Präpositus war der bisherige Rektor des Grazer Kol1 Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, II/l, S. 319f. 2 Ebendort, I, S. 92f. 3 Ebendort, I, S. 93. 4 Ebendort, II/l, S. 317f.