Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
Das böhmische Kronarchiv. 111 Bullen) ausgefolgt.1 Und endlich hatte Rosenthal auch noch den Auftrag erhalten, in der alten böhmischen Kammerregistratur und in Karlstein nach etwa noch vorhandenen „geheimen Schriften“ zu suchen. In der Kammerregistratur fanden sich über 200 Urkunden von 1319—1694, von denen jedoch nur 22 von 1319—1558 im Böhmischen Repertorium AB. 387 e eingetragen sind, während die Hauptmasse offenbar niemals nach Wien kam.1 In Karlstein fand Rosenthal — ebenso wie im Stifte Wischehrad — nichts mehr vor, konnte jedoch mündlich erfahren, daß bei der Übernahme der Herrschaft Karlstein nach dem Tode der Kaiserin Eleonore (der dritten Gemahlin Kaiser Leopolds I.) im Jahre 1720 „geheime Schriften, darunter sehr alte Pergamente“, in der Burg Karlstein gefunden und auf Befehl der Kaiserin Elisabeth (der Gemahlin Karls VI.) nach Wien geschickt worden seien. So kam also das böhmische Kronarchiv im wesentlichen unter Maria Theresia in das eben gegründete StA. nach Wien. Splitter des Kronarchivs befanden sich jedoch schon seit Jahrhunderten im Wiener Schatzgewölbe. Bereits frühzeitig, durch Przemysl Ottokar II., war eine Reihe von Urkunden des böhmischen Kronarchivs nach Wien und ins Schatzgewölbe gelangt; aber wenigstens zum Teil nur vorübergehend: im böhmischen Kronarchiv findet sich eine Urkunde Herzog Albrechts II. von Österreich vom 2. April 1358, mittels welcher dieser an Karl IV. „zwei im Österreichischen Archiv erst gefundene“, die Krone Böheim betreffende Urkunden Kaiser Friedrichs II. von 1212 und 1231 ausliefert. Es sind dies offenbar die Goldbulle über die Erhebung Böhmens zum Königreich vom 26. Sept. 1212 und der Lehenbrief auf König Wenzel I. vom Juli 1231;2 diese zwei Urkunden — und so wohl auch noch andere — waren eben unter Ottokar II. nach Wien gebracht worden, kamen 1358 nach Prag zurück, um 1750 abermals nach Wien und 1920 endlich wieder nach Prag zu gelangen: man sieht, wie wechselvoll das Schicksal einzelner Teile des böhmischen Kronarchivs war. War der erste Wiener Aufenthalt dieser Urkundengruppe nur kurz, so blieb eine nicht unbeträchtliche Zahl wichtiger Urkunden des böhmischen Kronarchivs, die Kaiser Sigismund während der Wirren der Hussitenkriege der Sicherheit halber immer bei sich behielt und dann seinem Eidam Herzog Albrecht V. von Österreich (= König Albrecht II.) übergab, und die von diesem an Kaiser Friedrich als Vormund des Ladislaus Posthumus gelangten, seit damals ständig im Wiener Schatzgewölbe. Wir haben hievon bereits gehört (vgl. S. 33 f.) und sind diesen Urkunden, die also schon 100 Jahre vor der Ordnung des Wiener Schatzgewölbearchivs durch Putsch in Wien waren, mehrmals in verschiedenen Abteilungen von dessen Repertorium (AB. 333) begegnet. Die meisten — etwa 30 Stück — trafen wir naturgemäß in der Abteilung Beheim; aber auch in anderen Abteilungen stießen wir auf diese Kronarchivurkunden: so auf die Verpflichtungsurkunden der Kurfürsten von 1362, nach Karls IV. Tod keinen Habsburger zum römischen König zu wählen, nach ihren Ausstellern in den Abteilungen Brandenburg, Bayern, Sachsen (nur die Urkunde des Pfälzers ist unter 1 Reg. des StA. Z. 49/1750. 2 Vgl. Otto H. Stowasser, Das Archiv der Herzoge von Österreich, S. 5.