Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
106 Die Urkundenabteilung. rischen Delegation vorgebrachten Wünsche, die auf die Geschichte Ungarns bezüglichen Urkunden des StA. mögen an das kgl. ungarische Landesarchiv abgetreten werden, auf Grund von gutachtlichen Äußerungen der Direktion des StA. nicht allzu schwer zurückgewiesen werden konnten. Das Gutachten des Jahres 1908 stützt sich bereits auf das Provenienzprinzip: „Eine Registratur gehört dem Amte, aus dessen Tätigkeit sie erwachsen ist.“ Diesem Prinzip ist heute völlig Genüge geleistet, da, wie ausgeführt wurde, diejenigen Urkunden — etwa 200 —, die nach der Auslieferung jener 170 Urkunden im Jahre 1787 provenienzgemäß nach Ungarn gehörten, im Jahre 1927 auch noch ausgeliefert wurden. (Darunter aus sachlichem Entgegenkommen sogar einige Urkunden, die im Repertorium des Wiener Schatzgewölbes von Putsch [AB. 332, 333] stehen, ja zum Teil wohl überhaupt ursprünglich österreichischer Provenienz sind.) Die jetzt noch im StA. befindlichen sogenannten ungarischen Urkunden wurden, wie aus dem Vorstehenden wohl klar werden dürfte, mit Fug und Recht in die allgemeine Urkundenreihe eingeteilt. Die Türkischen Urkunden. Ebensowenig wie die Ungarischen Urkunden, deren Anhang sie bildeten, führen die Türkischen Urkunden ihren Namen nach der Provenienz. Sie werden 1849 als „eine eigene Sektion von Archivalien, die sich auf die Verhältnisse gegen die Türken und den Orient überhaupt beziehen“, bezeichnet. Also eine Betreffsgruppe. Der Name ließe sich auch im Hinblick darauf rechtfertigen, daß die Mehrzahl dieser Urkunden in türkischer Sprache abgefaßt ist. Als Bestand türkischer Provenienz aber ist höchstens ein Teil der Urkunden anzusprechen. Aus dem großherrlichen Archiv in Konstantinopel oder Adrianopel stammt wohl überhaupt kein einziges Stück. Denn die wenigen an den Sultan oder den Großvezier gerichteten Beglaubigungsund Geleitschreiben Ferdinands I. für seine Abgesandten (Jurischitz, 27. Juli 1529) entstammen wohl wie die Instruktionen und Vollmachten desselben Herrschers für seine Gesandten und Unterhändler (5. Nov. 1531, 13. Juli 1540, 10. Juli 1542) den Registraturen der Gesandten oder dem österreichischen Staatsarchiv. So finden wir unter den Türkischen Urkunden ja auch aus späterer Zeit Schreiben des Sultans, des Großveziers, des Paschas von Ofen, die an kaiserliche Unterhändler in verschiedenen Friedensverhandlungen gerichtet sind: 1606 und 1625 an den Grafen Althan, 1686/87 an den General Grafen von Caraffa, 1689/90 an Graf Jörger und an den Kardinal Kollonits, ja von 1738 auch noch die kaiserlichen Vollmachtschreiben für den Herzog von Lothringen zu Friedensverhandlungen mit der Pforte. Nicht absprechen aber kann man die türkische Provenienz Urkunden, die aus den Registraturen der türkischen Statthalterschaften stammen, wie die Fermane und Schreiben des Sultans an die Begs (Beys) und Begler-Begs (Paschas), Richter und anderen Beamten der von den Türken besetzten Gebiete sowie die Korrespondenz dieser türkischen Statthalter und Beamten untereinander, hauptsächlich aus dem 16. Jahrhundert.