Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
Die ungarische Urkundenabteilung. 103 die ungarisch-siebenbürgische Hofkanzlei abgegeben, von wo sie über die ungarische Statthalterei an das ungarische Kameralarchiv gelangten. Heute liegen sie im kgl. ungar. Staatsarchiv zu Budapest. Das StA. besitzt nur noch die ausführlichen Verzeichnisse des Jahres 1785 (Reg. des StA. 16/1785). Wenn „die Ungarische Archivabteilung, in welcher auch die Urkunden Siebenbürgens und aller ungarischen Nebenreiche chronologisch eingereiht sind“, neben der österreichischen und der böhmischen unter den „Hauptarchiven“ des Geheimen Hausarchivs erscheint oder wenn es immer heißt, das Archiv sei eingeteilt in das ungarische, böhmische, österreichische usw., wenn also der ungarische Urkundenbestand als völlig gleichwertig und gleichartig neben die Bestände der österreichischen und böhmischen Urkunden gestellt wird, wenn schließlich im besonderen entsprechend dem böhmischen Kronarchiv vom „ungarischen Kronarchiv“ gesprochen wird, so ist dies in jeder Hinsicht unrichtig. Schon der äußere Umfang zeigt das. Betrug die Zahl der ungarischen Urkunden, wie wir eben hörten, rund 1000 und sehr bald noch weniger, so zählte die Österreichische Abteilung (ohne die Hauptbestände des Innsbrucker und Grazer Schatzgewölbes) schon zur Gründungszeit des StA. rund 10.000 und das böhmische Kronarchiv über 2000 Urkunden; und während bei der Flüchtung 1805/06 das österreichische Archiv 68 und das böhmische 16 Kisten füllte, konnten die ungarischen Urkunden in 4 Kisten untergebracht werden. Vor allem aber ist die Bezeichnung „ungarisches Kronarchiv“ nicht berechtigt. Denn von den etwa 1000 ungarischen Urkunden bilden den Kern Urkunden aus verschiedenen Abteilungen des Wiener Schatzgewölbes, vor allem die ganze ungefähr 500 Urkunden zählende Abteilung Hungarn, dann die Abteilung Forchtenstein mit 40 Urkunden und noch etwa 30 Urkunden ungarischer Aussteller aus der Abteilung Cilli; davon sind nun nur bei 100 Urkunden (der Abteilung Hungarn) ungarischer Provenienz, wie wir ja bereits S. 32 f. hörten, und davon wieder nur einige wenige zweifellos aus dem ungarischen Kronarchiv im eigentlichen Wortsinne: Bündnisse mit ungarischen Königen — Ludwig der Große 14. Dez. 1345 und 7. Jan. 1362, Matthias Corvinus 1478 —; die Urkunden über die künftige Doppelheirat der Enkel Maximilians I. und der Kinder König Wladislaws von 1506 u. a. Die älteren dieser Urkunden tragen neben Dorsualvermerken der angiovischen Kanzlei bereits aus dem 15. Jahrhundert stammende Rückenregesten (s. Abb. 2), die beweisen, daß diese Urkunden wahrscheinlich wie ein — allerdings wesentlich umfangreicherer Teil des böhmischen Kron- archivs — durch König Albrecht II. nach Wien gekommen sind (s. S. 33). Die Hauptmasse der 100 Urkunden des Wiener Schatzgewölbes ungarischer Provenienz aber sind etwa 80 königliche „Gabbrief“; sie wurden bei der erwähnten Auslieferung des Jahres 1787 als Privaturkunden, die sich bloß auf Familien- und Gütersachen beziehen, an die kgl. ungarische Hofkanzlei abgegeben.1 Die zweite Hälfte (etwa 90 Stück) der 170 damals ausgelieferten Urkunden — die Übernahmsbestätigung ist vom 26. Febr. 1787 datiert 1 Reg. des StA. Z. 9/1787.