J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

Einleitung

und waltete, aus je intimeren und unmittelbareren Quellen sie ihre Nach­richten schöpfte. Die amtliche und die private Korrespondenz der in Wien beglaubigten Gesandten war Metternich zum guten Teile zugänglich. Die Berichte, die sie erstatteten, die Weisungen, die sie empfingen, die Briefe, die sie wechsel­ten, sie alle konnten dem Staatskanzler in der Form der üblichen Interzepte meist unverzüglich zur Kenntnis gebracht werden. Und weder ihre Ziffern­schlüssel noch die sonstigen Sicherheitsvorkehrungen — Deckadressen, Instra- dierungsumwege u. dgl. m. — vermochten der Erfahrung und der Geschick­lichkeit, über die man in Österreich mit fast traditioneller Vollkommenheit ver­fügte, standzuhalten. Aber auch die übrige Auslandkorrespondenz war, mochte sie nun die Grenzen der Monarchie meiden oder nicht, dem geheimen öster­reichischen Durchforschungsverfahren keineswegs völlig entrückt. Was zwi­schen Rom und Berlin, Konstantinopel und Paris, Turin und St. Petersburg, Neapel und London an amtlicher und privater Korrespondenz hin und her lief, entging Metternichs Späheraugen nicht. Umfang und Lage des Kaiser­staates kamen ihm dabei ebenso zustatten wie die mit Vorbedacht gezogenen Linien der ausländischen — d. h. der mit dem Auslande korrespondierenden — Postkurse und die geschickt verteilten Postlogen, die gleich den Postkursen auch ins benachbarte Ausland vorgetragen wurden. Wie sehr sich unter diesen bisher zu wenig bekannten Umständen das Gesamtbild der außenpolitischen Leistungen Metternichs verschieben kann, ist klar. Hier muß es genügen, darauf hinzuweisen und davor zu warnen, über dem Inhalte der diplomatischen Aktenstücke der Mittel und Wege zu vergessen, aus und auf denen er von Fall zu Fall gewonnen worden ist. Zwar ist es wohl nur noch unter besonders günstigen Umständen möglich, diese Zusammenhänge aufzudecken. Dennoch werden sie in jedem Falle von größe­rer historischer Bedeutung vorausgesetzt und so weit als möglich nachgeprüft werden müssen. Wohl sind die Briefumschläge, die uns dabei manch wert­vollen Aufschluß hätten gewähren können, meist achtlos vernichtet worden und von den Zehntausenden von Interzepten, die Jahr für Jahr gewonnen worden sind, ist — relativ genommen — nur ein winziger Bruchteil erhalten geblieben. Dennoch gibt es noch immer Nachrichten und Anzeichen genug, die erkennen lassen, wie ausgedehnt und tiefgreifend dieser Geheime Dienst einer geheimen Politik damals gewesen ist. Sie zu einem möglichst plasti­schen Bilde des Wesens und der Bedeutung der geheimen amtlichen Durch­forschung der Auslandbriefe der Metternichzeit zusammenzufassen, mag daher um so gerechtfertigter erscheinen, als es mit dem Staatskanzler auch die Quellen seiner außenpolitischen Urteilsbildung berührt.

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