J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)
I. Die Postlogen - 20. Geheimschriften
nichs Zusammentreffen und verhandeln sollte. Bald darauf ging dieser — es war der Legationssekretär Baron Ottenfels2) — vereinbarungsgemäß nach Basel ab und schrieb von dort, als der französische Agent auf sich warten ließ, zwei Schlüsselbriefe an Metternich, die an den Wiener Großhändler Franz Gschwind adressiert waren. In ihnen berichtete der Handlungsreisende Heinrich Werner über die Säumigkeit seines Handlungsfreundes, die ungünstigen Lokalverhältnisse, die Verzögerung der geplanten Seidenspekulation u. dgl. m.3). Metternich waren naturgemäß Art und Inhalt dieser Schlüsselbriefe wohl bekannt und verständlich. Heute aber lassen sie sich als solche nur noch aus der Vorgeschichte des Falles und aus der Handschrift erkennen. Derselben Verkleidung eines Korrespondenten eines Seidenhandlungshauses hat sich Hübner im Frühjahr 1848 bedient, als er von der provisorisdten Regierung in Mailand gefangen gehalten wurde4). Eine verabredete Deutungssprache hat der Frankfurter Postrat Heller (S. 10) in seinen Berichten zur Anwendung gebracht. Als ein Mittelding zwischen Ziffern- und Schlüsselbriefen kann das in der Schweiz angewendete Spezialsystem bezeichnet werden, bei dem bestimmte Wörter ihre jeweils vereinbarte Sonderbedeutung hatten. Erasme z. B. hieß Napoleon, Emile Maria Louise, Etoile Griechenland, Guirlande Bayern, Marie Österreich usw. So konnte also ein anscheinend harmloser Brief seine ganz bestimmte, tabellarisch feststellbare Sonderbedeutung haben *). 20. Geheimschriften. Die Schuld an der Verzögerung der Basler Zusammenkunft des Jahres i8ij war vor allem dem Handlungskommis von Arnstein, namens Köckh, zuzuschreiben. Er hatte zu seiner Legitimation einen mit unsichtbarer Schrift beschriebenen Brief1) an Foudié bei sich, dazu das Pulver, mit dem der Brief bestrichen werden mußte, ehe er vorgelesen werden konnte. Der gute Ködch besaß aber nicht die nötige Routine dazu. Bei der ersten Unterredung überließ er Fouché den Brief noch unbestridien und beschränkte sich auf ein lebhaftes Augenzwinkern des Inhaltes, daß er das dazugehörige chemische Pulver, das „Arcanum“, bei sich in der Tasche habe. Was uns hier an dieser tragikomischen Szene vor allem interessiert, das ist die Tatsache, daß — wie sdion oben erwähnt — die geheime Briefchemie der Wiener Staatskanzlei keineswegs fremd gewesen ist. In der Tat verfügte der Kaiserstaat schon unter Cobenzl in Chevalier Landriani (S. 28) über einen hervorragenden Fachmann auf diesem Gebiete, der es darin „unendlich weit gebracht haben soll“. 1810 hat er Metternich eine Denkschrift über sein originelles chemisch-diplomatisches Verfahren, Geheimschriften zu lesen, ohne den Brief zu beschädigen, gewidmet2). Später versah der Hofsekretär Baron Krufft (S. 31) diesen Agendenkreis. Daneben entfaltete die Geheime Ziffernkanzlei „den ganzen Reichtum der Chemie, Mechanik und Retortenkochkunst“ä). Auch die englische Kopier2) J. K r a u t e r, Ottenfels 48 ff.; O. B r a n d t, Metternichs Denkwürdigkeiten 1, 324; Mrs. Trollope, Wien u. d. Österreicher 3, 269 t.; J. K. Mayr 1. c. 24. 3) Werner an Gschwind íj IV 22, 25 Notenwechsel ad Polizei 77; Vortrag 21 VIII 14 Vorträge 334. 4) Fr. Engel-Janosi, Hübner 5j, Anm. 26. 8) Bericht Bubnas 20 IV ij Provinzen, Lomb.-Venezien 27. *) Wohl identisch mit Aus Metternichs nachgelass. 2) Landriani an Mett. 10 III 2 Interiora 91. 3) J. H o r m a y r, Kaiser Franz 76. 41